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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schlegel: Mit den Wassern des Stromes



Gernot Menke
24.12.2009, 02:01
Die elf Elbegeschichten des Buches spielen in den einhundert Jahren vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie sind bis auf zwei recht kurz. Die kürzeste, die vom Befüllen der Trinkwasserfässer handelt, die mit einer Trage zum Bächlein an Land und mit einem Gewicht von über 100 Kilogramm wieder an Bord gebracht wurden, ist nur zweieinhalb Seiten lang. Den Großteil des Büchleins nehmen die beiden längeren Geschichten ein.

Die eine – 53 Seiten lang – handelt von einem Kind aus dem Böhmerwald aus ärmsten Verhältnissen, das von der Mutter fortgeschickt wird, weil sie die fünf Kinder nicht mehr ernähren kann. Nach einer Zwischenstation auf einem Bauerhof wird der nunmehr Jugendliche Heizer auf einem Kettenschlepper. 43 Jahre lang schaufelt Johann Kohlen. Er erlebt dabei den Ersten Weltkrieg und viel wechselndes Personal, jedoch kaum einen freien Tag, außer wenn Hochwasser, Eis oder technische Defekte dazu zwingen. Als die Kettenschiffahrt eingestellt wird, geht auch Johann in den Ruhestand. Sein letzter Kapitän vermittelt ihm ein billiges Zimmer im sächsischen Heimatort des Kapitäns, dreimal größer als sein Logis auf dem Kettenschlepper und mit Wasserhahn und elektrischem Licht ausgestattet. Sein neuer Vermieter dort begrüßt ihn mit: „Hier haben immer Schiffer gelebt, und den Holzhaufen da drüben, den können Sie nach und nach durch den Schornstein jagen, Sie sind doch Heizer.“ Oberhalb des Hauses am Schloß kann Johann täglich für wenige Pfennige bei den Barmherzigen Schwestern essen.

Die zweite längere Geschichte, die mit 113 Seiten mehr als die Hälfte des Büchleins einnimmt und „Motorschiff Sachsenland“ heißt, spielt in einem wohlhabenderen Milieu. Der Sohn eines angesehenen und wohlhabenden „Privaters“, wie die Partikuliere hier genannt werden, verzeiht seinem Vater nicht, daß er auf einem fremden Schiff lernen soll und nicht auf dem vertrauten elterlichen Kahn. Trotzig meidet er daraufhin das elterliche Schiff und wird nach der Lehre Matrose auf einem anderen Kahn. Wißbegierig, technisch begabt, sparsam, scharf kalkulierend und mit viel Eigenarbeit bringt er es bald zu einer eigenen ehemaligen Hamburger Hafenschute, die er zu einem Sandfahrer mit Selbstladeeinrichtung macht (das paßt übrigens zum GMS Matha aus Bleckede hier im Forum. Im Buch wird der Sand bei Hitzacker gebaggert und nach Hamburg gefahren). Harte Arbeit und eine sich bietende günstige Gelegenheit ermöglichen nach Jahren den Kauf eines holländischen Schleppschiffs, dessen liegendes Haspel gegen ein elbtypisches Steuerrad ausgetauscht wird. Jahre darauf erfolgt die Motorisierung – bald wird über den neuen Mittellandkanal auch ins Rheingebiet gefahren. Im Zweiten Weltkrieg gelingt es dem Schiffer mit Glück und List, das Schiff über das Kriegsende hinwegzuretten. Trotzdem endet die Geschichte traurig: die Russen nehmen ihm das Schiff während der Demontage ganz einfach ab.

Der Autor – Jahrgang 1928 - verrät nicht, wo er seine Geschichten her hat. Er ist Pädagoge und kein Schiffer, auch wenn er in seiner Jugend während des Krieges für zwei Jahre zur Elbschiffahrt zwangsverpflichtet wurde und auch ein paar Jahre zur See fuhr. Vermutlich hat Siegfried Schlegel, der bereits zahlreiche Schriften besonders zur Landeskunde der Oberlausitz verfaßt hat, bei Elbschiffern nach seinen Geschichten gesucht. Seine zahlreiche schiffische Details enthaltenden Geschichten scheinen jedenfalls auf Fakten zu beruhen, auch wenn sie in Roman- oder Erzählform verarbeitet sind.

Fotos enthält das Buch nicht, dafür aber die Skizze einer Gänseangel, die den Schiffern hin und wieder einen fetten Braten bescherte. Das Buch bietet keine Abhandlung der Geschichte der Elbschiffahrt, sondern Elbschiffahrts-Geschichten, die den Leser in Zeiten zurückversetzen, die unseren Großeltern noch vertraut, für uns selbst aber kaum noch vorstellbar sind.

Siegfried Schlegel: Mit den Wassern des Stromes – Elbegeschichten. Notschriften Verlag Radebeul 2008. 224 Seiten, Format 21,5 x 15 cm. Preis 13,50 Euro.

:wink: Gernot