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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Unter Tage



Jürgen
30.12.2009, 21:20
Das dürfte eigentlich auch zur Binnenschiffahrt zählen: Erzschiffahrt unter Tage. Wurde im Harz praktiziert: Die Erzkähne wurden von Bergleuten im Wasser laufend gezogen.
Die Bilder aus Lauthental im Harz.
Probefahren mit der Hand an der Decke am Stahlseil ziehen.

Jürgen

Power-Ship
31.12.2009, 11:34
Schon seltsam... Wer da das Sponsoring übernommen hat...:fragkratz::fragkratz::fragkratz:

eine bekannte westfälische Brauerei!:roooll:

Gernot Menke
31.12.2009, 16:44
Das ist ja eine Überraschung - ich hatte von einer Untertage-Schiffahrt in einem Bergwerk im Harz erst einmal gehört - in den 1894 erschienenen "Tabellarische(n) Nachrichten über die flößbaren und schiffbaren Wasserstraßen des Deutschen Reiches" von Victor Kurs - die beiden Anhänge entstammen diesem Werk.

Zu den Angaben bei Victor Kurs:

1803-35 = Entstehungszeit
Carolinen- bzw. Silbersegener Schacht = Anfangs und Endpunkt des Kanals, dessen Länge mit 4,2 km angegeben wird. 198 = Meereshöhe. (Die beiden Schächte befinden sich praktisch unterhalb des Stadtgebiets von Clausthal-Zellerfeld)
Geringste Breite des Kanals: 1,72 m im Wasserspiegel, 1,32 m an der Sohle.
Die kleinen Schiffchen oder besser Kähne maßen L 6 x B 1,5 x T 1,3 m und nahmen bis zu 4,5 m³ Erz mit.

Im Internet befindet sich dazu eine Menge - wenn ich das gesichtet habe, fasse ich die Informationen über die Schiffahrt unter Tage kurz zusammen. Die Schiffahrt unter Tage wurde 1905 eingestellt. Zum Schluß sollen täglich 270 Tonnen transportiert worden sein.

Der Vollständigkeit sei hier an den Bridgewater Canal bei Manchester erinnert, einen der ersten britischen Kanäle. Der Duke of Bridgewater und sein Ingenieur Gilbert schufen hier zwischen 1759 und 1776 ein Kanalsystem, das seine Anfänge ebenfalls in Entwässerungskanälen hatte. Es reichte bis tief in die Kohlenstollen hinein und sage und schreibe 74 km verliefen unter Tage. Teile davon wurden noch bis 1887 benutzt. Die Fortbewegung "im Loch" erfolgte durch Zug an fest installierten Seilen von Bord aus oder durch "legging", d.h. durch das Entlanglaufen der seitlich oder oben auf dem Kahn bzw. der Ladung liegenden Schiffer (Kumpel?) an den Wänden und der Decke des Tunnels.

:wink: Gernot

Gernot Menke
01.01.2010, 18:19
Der Bergbau um Clausthal-Zellerfeld grub sich immer mehr in die Tiefe - und bekam immer drängerende Wasserprobleme. Je tiefer die Schächte und Sohlen wurden, desto länger und aufwendiger wurden wegen des notwendigen Gefälles die Entwässerungsstollen.

Bis zu einem gewissen Grad konnten wassergetriebene Pumpwerke mit Saugpumpen eine Abhilfe schaffen. Durch Bäche angetriebene Wasserräder übertrugen die Kraft mit bis zu 500 m langen Gestängen zum Schacht, wo die Kraft vom Gestänge über ein einfaches Drehkreuz auf die Saugpumpen umgelenkt wurde. Damit wurde nun das Grubenwasser aus den tieferliegenden Gruben auf die Höhe der bestehenden Entwässerungsgräben hinaufgehoben und über diese entwässert.

Doch stieß dieses System an seine Grenzen. Die Saugpumpen waren wartungsintensiv und störanfällig. Bei Wassermangel blieben sie antriebslos, obwohl man einen großen Aufwand betrieb, durch die Anlage von Teichen, durch Grabensysteme zur Mehrfachnutzung des Wassers, durch Abdeckungen von Zulaufgräben gegen Frost usw. einen Wassermangel nach Möglichkeit zu verhindern. Denn standen die Wasserräder still, arbeiteten die Pumpen nicht und die tiefliegenden Schächte liefen voll Wasser.

Wichtige, bereits im 16. Jahrhundert gebaute Entwässerungsstollen entwässerten in die Innerste in der Gegend um Wildemann (nordöstlich von Bad Grund). Als immer mehr neue Schächte an diese Entwässerungsstollen angeschlossen wurden (die bis zu 250 m unter den tiefsten Entwässerungsstollen - den "Tiefen Wildemann Stollen" - reichten!), kam das bestehende Entwässerungssystem der Bergwerke nicht nur an seine technische, sondern auch an seine Kapazitätsgrenze.

1777 wurde daher mit dem Bau eines tieferen Entwässerungsstollens begonnen: dem "Tiefen Georg-Stollen", der von Clausthal-Zellerfeld bis nach Bad Grund reichte und 1799 nach 22 Jahren harter Arbeit geschafft war. Damit waren jetzt beim Carolinenschacht 150 m Tiefe bei der Entwässerung gewonnen! Bis 1835 wurde der "Tiefe Georg-Stollen" durch den Anschluß weiterer Gruben auf eine Gesamtlänge von 19 km ausgebaut und war damit das damals längste Tunnelbauwerk der Welt.

Vier Jahre nach der Inbetriebnahme des "Tiefen Georg-Stollens" begann man 1803 noch weitere 150 m tiefer, rund 400 m unter der Oberfläche des Stadtgebiets von Clausthal-Zellerfeld mit dem Bau einer "totsöhligen", das heißt gefällelosen Wasserstrecke, die das Wasser der dort angeschlossenen Gruben sammeln sollte, um dieses Wasser dann in den "Tiefen Georg-Stollen" emporheben und entwässern zu können. 1836 war diese "Tiefe Wasserstrecke" unterhalb von Clausthal-Zellerfeld, die mehrere Gruben mit einigen Abzweigungen verband, insgesamt 6,53 km lang. Die "Tiefe Wasserstrecke" wurde von Anfang an für den Transport mit Booten vorgesehen.

1833 wurde der Erztransport auf dem Wasser unter Tage aufgenommen. Zunächst wurden die Boote von Hand gelöscht. Später erfand man ein Behältersystem: die "Container", wie man heute sagen würde, wurden am Schacht Ottiliae (nahe der Grube Silbersegen) im Förderschacht an das Förderseil angehängt und kamen so an die frische Luft im Harz! Ein für die damalige Zeit geniales System.

Der Ernst-August-Stollen stellt eine Verlängerung dieser "Tiefen Wasserstrecke" dar, dessen Mundloch in Gittelde an der Söse aus dem Berg tritt. Schiffahrt wurde hier aber nicht betrieben: der Sinn des 1851-1866 gebauten (einschließlich der "Tiefen Wasserstrecke" rund 20 km langen) Ernst-August-Stollens war die Beendigung des leidigen Hochpumpens des Wassers in den "Tiefen Georg-Stollen".

Der Grund für die Beendigung der Schiffahrt auf der "Tiefen Wasserstrecke" des Ernst-August-Stollens ist das Aufkommen der Elektrizität, die nun eine elektrische Beförderung der Erze per Grubenbahn ermöglichte.

Die 150 m lange Anschauungsstrecke des Kanals im Besucherbergwerk in Lautenthal ist eine Nachempfindung der nicht zugänglichen "Tiefen Wasserstrecke" vierhundert Meter unter den Straßen von Clausthal-Zellerfeld.

1980 scheiterte leider ein Plan, die Originalstrecke auf 3 Kilometern für Besucher zugänglich zu machen, an den Kosten. Die Schächte nach unten wurden daraufhin mit 60 m Beton für immer verfüllt. Auch das Fördergerüst von 1878 am Schacht Ottiliae sollte damals fallen, wurde dann aber zum Glück erhalten und kann heute besichtigt werden.

Interessantes Detail am Rande: nach dem Ende des Bergbaus 1930 wurde das Gefälle der Schächte zur Stromerzeugung mit Oberflächenwasser genutzt, das dann über den Ernst-August-Stollen abfloß. Diese Episode endete 1980. Nach der Abschaltung der Turbinen war die Tiefe Wasserstrecke kurz zugänglich, so daß Lutz Markworth einige Fotos vor Ort machen konnte (veröffentlicht in "Verschlossen und verriegelt", ISBN 3-9806619-6-2) - einige Fotos sind auch im Internet zu sehen (sah offenbar doch etwas anders aus als im Museum. Sogar ein ersoffener Holzkahn hing 1980 noch in den Seilen!). Kurz darauf wurden die Zugänge verfüllt.

:wink: Gernot

Jürgen
01.01.2010, 18:48
Hallo Gernot,
da hast Du Dich aber mächtig ins Zeug gelegt.
So viel Info war da vor Ort nicht. Es ist aber trotzdem interessant, was im Harzbergbau mit der Kraft und Möglichkeit des Wasser´s bewerkstelligt wurde.

Eigentlich hat man mehr Kenntnisse über den Kohlebergbau an der Ruhr, das Geförderte wurde ja schliesslich von Schiffen (ÜBERTAGE:super:) transportiert und hat u. a. ganz kräftig zur Entwicklung der Schiffahrt beigetragen.

Ist der Bergbau im Harz nicht sogar älter als an der Ruhr? Glaube schon.

(Oh, ich wüsste noch einen spannenden Themenbereich, da hab ich was im TV gesehen, aber nicht vollständig: Mit dem Boot durch Flüsse und Kanäle von der Schweiz nach Venedig!)

Jürgen
Rotterdam

Gernot Menke
01.01.2010, 20:45
Der Bergbau ist ja uralt - Feuersteine sind wohl schon in der Steinzeit aus dem Boden geholt worden.

Der Harz (Rammelsberg) gilt als eine uralte Bergwerksregion. Angeblich sind sie hier seit 3000 Jahren (Bronzezeit) am Buddeln.

Im Ruhrgebiet gibt es erst seit dem Beginn der Industrialisierung Kohlebergbau, so ab 1750 etwa.

Davor gab es an der Ruhr nur die "Kohlengräberei" an günstigen Stellen (also im Süden des Ruhrgebiets, wo die Kohle an der Oberfläche liegt) für kleineren Bedarf. In Herbede hatte in der schlechten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein Kohlenhändler eine solche alte Schürfstelle wieder in Betrieb genommen und LKW- und sackweise Kohle verkauft! Dort steht heute neben einem lächerlich wirkenden Fördergerüst eine Info-Tafel.

Kanäle in der Schweiz - das klingt in der Tat spannend! Daß es in der Lombardei ein frühneuzeitliches Kanalnetz gibt (ist hier nicht sogar die Schleuse "groß geworden"?), ist ja bekannt, aber in der Schweiz??! Ich hatte von dem Fernsehbericht mal was gehört, es dann aber wieder völlig vergessen. - Eigentlich kann die Fahrt doch nur über irgendwelche wildwasserträchtigen Flüsse (Aare z.B.) zum Rhein, dann über den Rhone-Rhein-Kanal und die Rhone nach Marseille und dann nach ein paar Kilometern an der Küste entlang ins lombardische Kanalnetz gegangen sein?

:wink: Gernot

Jürgen
02.01.2010, 21:06
Hai,
auf GoogleEarth habe ich mal probiert, den Wasserweg zu folgen, habe aber dann aufgegeben da die Onlineverbindung während des Fahrens bescheiden war.
Aber das Universalgenie Leonardo da Vinci hatte damals nach eigenen Entwürfen Schiffsschleusen gebaut an deren Eigenschaften und Aussehen sich die heutigen Schleusen quasi spiegeln.

Jürgen
Rotterdam (immer noch)

honny
05.01.2010, 02:31
Durch einen Kanal von der Schweiz ins Mittelmeer, das ging vom 17. Jahrhundert bis Anfang des 19. Jhd über den "Canal d'Entreroches" , der den Neuenburger See ( Rhein - Aare ) mit dem Genfer See ( Rhone ) verbunden hat, wenn auch nur in sehr eingeschränktem Maße. Reste sind dort heute noch teilweise zu erkennen. Aber vom französischen Mittelmeer gibt es doch keine Möglichkeit, in das lombardische Kanalnetz zu gelangen. Da liegen ein paar sehr hohe Gebirge dazwischen !!

Hier wird also ein anderer Weg von der Schweiz nach Venedig gemeint sein: Ganz einfach von der Südschweiz über den Lago Maggiore, dann über den Ticino bzw. dessen Randkanäle durch die Lombardei in den Po und dann vom Delta nach Venedig.

Das mit Leonardo da Vinci und seinen damaligen fortschrittlichen Ideen ist übrigens richtig: In der Lombardei gibt es an der Adda östlich von Mailand eine Autofähre, die nach Plänen von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1514 nachgebaut wurde und dort seit 1994 im Einsatz ist.

( Dieses ist übrigens mein erster Beitrag in diesem Forum und begrüße alle Leser und Mitwirkenden. Mein Spezialgebiet sind "Binnenfähren" und in dieser Richtung werde ich mich jetzt öfters zu Wort melden !
Grüße an alle aus Bad Honnef
Wolfgang Hilger )

Gernot Menke
05.01.2010, 10:36
Das mit dem Gebirge in NW-Italien stimmt - hätte ich eigentlich wissen sollen, denn wenn man vom Binnenland nach Genua fährt, muß man über einen Paß und kommt von relativ hoch oben mit einigen Serpentinen nach Genua hinunter. - Allerdings ist es zwischen der Schweiz und Italien ja auch nicht gerade flach!

Vielen Dank, Wolfgang, für Deine Korrektur und Informationen - vielleicht kommt ja noch mehr.

Allerdings sollte man das Thema doch vom bestehenden Beitrag abtrennen - "Unter Tage" im Harz paßt irgendwie nicht so zu den Alpen und Italien! :roooll:.

:wink: Gernot