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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Abturnen



NFK
19.06.2010, 02:39
Hallo zusammen,

in Band VI der Reihe "Historisches vom Strom" habe ich erstmals den Begriff "abturnen" gelesen. Mir ist schon klar, daß damit das Herunterziehen eines aufgelaufenen Schiffes von einem Hindernis gemeint ist.

Was mich interessiert: wird der Havarist gegen seine ursprüngliche Fahrtrichtung heruntergezogen oder versucht man den Schiffskörper mit einer Drehbewegung von der Untiefe zu befreien?

Ich denke mir nämlich, daß das Wort "turnen" vom englischen "turn" = drehen kommen könnte.

Gruß

Norbert

p-m
21.06.2010, 14:22
Hallo Norbert
Hallo zusammen

Als Landratte kann ich aus eigenem Wissen nichts zum Begriff "abturnen" beitragen. Ich kann nur aus Göpfs "Schiffischem Wortschatz des Schweizer Rheinschiffers" (http://www.binnenschifferforum.de/showthread.php?23384-Schiffischer-Wortschatz-des-Schweizer-Rheinschiffers) zitieren (siehe Beilage).

Freundliche Grüsse

Peter

Heidi 1920
22.06.2010, 07:47
Hallo,

so sieht ein Turnauftrag aus.

Axel

p-m
22.06.2010, 09:17
Hallo Axel

Danke für die Dokumentation.

Freundliche Grüsse an die Mosel

Peter

Gernot Menke
22.06.2010, 18:40
Hallo Norbert,

ich denke auch, daß abturnen "abdrehen" heißt. Einmal aus dem sachlichen Grund, daß es unmöglich ist, ein festgefahrenes Schiff seitlich gegen die Strömung zu ziehen, sondern immer nur ein Ende angepackt und dann gedreht wird. Das kann natürlich auch mal eine "Drehung" von Null Grad sein, wenn der Zug zufällig genau in der Richtung der Schiffsachse erfolgt, aber das ändert nichts am Prinzip.

Vor allen Dingen aber ist es die Turnstange, die Anlaß zu der Annahme gibt, daß turnen drehen heißt: mit der Turnstange wurde die Schraubenwelle und damit die Kurbelwelle der Motoren GEDREHT, um vor dem Anlassen sicherzustellen, daß sich kein Wasser im Brennraum befand.

In einem Wort: wenn turnen drehen ist, dann ist abturnen wohl auch "abdrehen", was sachlich ja auch hinkommt.

:wink: Gernot

NFK
23.06.2010, 02:22
die zur Klärung des Begriffs "abturnen" beigetragen haben.

Nun wundert mich nur, wie der englische Begriff "turn" in die kontinental geprägte Binnenschiffahrt gelangt ist. Bei der jahrhundertelang britisch dominierten Seeschiffahrt ist so eine Sprachangleichung ja wohl kein Wunder. Weiß man, ob sich Seeleute häufig anläßlich Heirat oder Seßhaftwerdung der Binnenschiffahrt zugewandt haben?

So ein "Turnvertrag" ist ja schon eine heftige Sache! Wenn man sich als Autofahrer vorstellt, man müßte im "Havariefall" in einen ähnlichen Vertrag einwilligen, dann hätten wir wohl kaum verstopfte Straßen. Wie sieht eigentlich eine der Autohaftpflicht vergleichbare Versicherung für Binnenschiffe aus?

Gruß

Norbert

p-m
23.06.2010, 09:44
... Wie sieht eigentlich eine der Autohaftpflicht vergleichbare Versicherung für Binnenschiffe aus? Gruß Norbert

Hallo Norbert
Hallo zusammen

Nach Angaben von Fachleuten, die es wissen müssen - u.a. auch von unserem Versicherungsmakler in Mannheim -, gibt es in der Binnenschifffahrt erstaunlicherweise keine Versicherungspflicht (!), weder für Haftpflicht noch für Kollision. Unverständlich, aber Tatsache. Ich nehme an, dass das einen historischen Hintergrund hat.

Freundliche Grüsse

Peter

PS: WILLI ist versichert.

Schifferfrau
23.06.2010, 11:33
Hallo an alle...

auch wenn keine Versicherungspflicht besteht, dürfte es dennoch kaum möglich sein, heutzutage als Partikulier unversichert zu fahren. In unserem Fall beispielsweise mußten wir sowohl gegenüber unserem Befrachter als auch gegenüber der Bank, über die wir das Schiff finanziert haben, nachweisen, dass wir entsprechend versichert sind...

Gruß

Elke

Norbert
23.06.2010, 22:04
Ob das Wort Turnen oder Abturnen aus dem englischen kommt weiß ich nicht. Was ich allerdings weiß das am Niederrhein mit vorliebe große Streckenschubboote wegen der hohen Motorenleistung dafür genommen wurden.
Das hieß dann für die Besatzung, die Schubleichter vor Anker legen und das Deck klarmachen. In der regel ging ein Schiffsführer oder Steuermann auf das Havarierte Fahrzeug und schaute sich die Gegebenheiten an, wo der Turndraht festgemacht werden konnte. Dieser Punkt musste umsichtig gewählt werden sonst konnte es passieren das ein Stück Verschanzung samt Poller am Draht hin das Schiff aber noch festlag. Das eigentlichen Turnen musste sehr umsichtig geschen, ein brechender 36er Koppeldraht ist lebensgefährlich und kann schäden am eigenen Schiff nach sich führen.
Nach getaner Arbeit musste dass Deck aufgeklart werden und die Leichter wieder angekoppelt werden um die Reise fort zusetzen. Da gehen schnell mal 3 Stunden drauf.
Mein ehemaliger Kapitän aus Emmerich hat in Emmerich mal einen Labemotor innerhalb von 1 Minute vom Dreck gezogen. Dafür sind wir von Achtern an den Labe ran, ein Festmachertau wurde 10 Fach zwischen Heckpoller und unserem Doppelkreuzpoller gespannt. Dann kam die Order "Deck räumen" und die Motoren wurden auf Rückwärts eingekuppelt. Als das Tau Steif war hat der Alte die Gashebel auf den Tisch gelegt. Alle Drei Diesel brüllten (zur Freude des Maschinisten) mit ihren je 1700 Ps auf und Sekunden später schwamm der Labe wieder.

So etwas ist nur für Spezialisten. :captain:

Gruß Norbert

Ernst
23.06.2010, 23:48
……..ja Norbert wenn man mit PS klotzen kann ist diese Methode angebracht.
Wenn man aber nur 480 PS bei 968t hat muss man wie folgt vorgehen.
Den Havaristen am Kopf oder Arsch packen, dabei den Draht am eigenen Schiff auf dem hinteren Mittelpoller festmachen und dann das Schiff in der Strömung gieren lassen. Das ist nicht ganz ungefährlich weil dabei der Kopf verfallen kann und dann kommst Du selber in Schwierigkeiten! Heut zu Tage kann man ja mit dem Bugi, bis zu einem gewissen Maß, dagegenhalten. Damals musste in schwierigen Fällen entweder ein zweiter Motor oder eine Boot den Kopf halten. Außerdem stand eine Axt parat um den Draht eventuell zu kappen.


Gruß Ernst

Norbert
24.06.2010, 17:13
Hallo Ernst,

da hast du natülich Recht mit viel Ps geht es besser. Die Form wie von dir beschrieben kenne ich auch. Beim Turnen muss man in der Regel nur die Hebelgesetze anwenden. Die Mannesmannboote III, IV und V hatten alle Koppelwinden auf dem Vordeck stehen (wie die meisten Schubboote), somit war fast nur rückwärtsziehen möglich.
Die Boote MM I und II hatte zwei Vorne und zwei Hinten in den Eingängen, trotz der geringen PS-Leistung 2 x 900 Ps eigneten die sich besser zum Turnen. Die achteren Drähte hatten eine Stärke von 36 mm, waren etwa 50 Mete lang und liefen Achtern durch eine Führungsrolle. Damit gab es beim ziehen mehr Bewegungsfreiheit, zusätzlich konnte das Bootsgewicht (350 Tonnen) in die Hebelbewegung eingesetzt werden.

Gruß Norbert

Gernot Menke
24.06.2010, 18:04
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß das Abturnen früher ein Leckerbissen für die Räderboote war. Schrauben haben ja einen gewissen Schlupf und der ist im Stillstand (nämlich beim Abturnen) noch mal größer, da die Steigungen der Propeller so bemessen sind, daß die Kraft bei der üblichen Fahrgeschwindigkeit am besten übertragen wird. Das ist im Stillstand also nicht der Fall.

Auf diese Weise werden eine Menge Pferdchen in Schaum und Verlust umgesetzt und nur der Rest zieht am Haken. Das war bei den Räderbooten ganz anders, die von Anfang an auch bei der niedrigsten Geschwindigkeit Kraft entwickelten, ganz einfach, weil die breiten Schaufeln praktisch mit dem Wasser "verzahnt" waren.

Hinzu kam, daß die Havaristen ja nie an tiefen Stellen lagen - die mangelnde Tiefe war ja meist der Grund ihres Scheiterns. Und flaches Wasser ist bekanntlich die Domäne der Radschiffe.

:wink: Gernot

Uwe Müller
24.06.2010, 18:19
Hallo Ernst,
da früher nicht alle ein Bugi,oder nur zum teil hatten (70 er),hatte man vorne den Anker geschmissen,weit genug vorraus
der hat den Kopp gehalten.
Gruß Uwe