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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Havarie in Marckolsheim



Gernot Menke
26.07.2010, 22:32
Unter Kanal 77 habe ich es bereits angedeutet: meine Tour von Nancy (Messein) über den Canal de l`Est und die Saône bis nach St. Jean de Losne und weiter über den Rhone-Rhein-Kanal war ein Traum - bis sie leider ein ungeplant frühes Ende durch eine kleine Havarie in Marckolsheim fand.

Zunächst einmal war es gar nicht so einfach, mit dem Motorkanu in Frankreich überhaupt auf den Rhein gelassen zu werden. Bereits an der Schleuse 41 des Rhone-Rhein-Kanals wurde kräftig mit Niffer telefoniert und in Niffer gingen die Probleme weiter. Diesmal kam der Chef persönlich. Er telefonierte mit höheren Autoritäten (Bild 1), sagte ins Telefon, daß er so ein Boot noch nie gesehen hätte und mir, daß er die Gendarmerie informieren müsse, damit sie sich das Boot gegebenenfalls ansehen könne. Er müsse das so machen - neuerdings würde alles überwacht (Videoaufzeichnungen der Schleusenvorgänge würden z.B. sechs Tage lang aufgehoben!) und wenn er mich einfach so fahren ließe und es dann einen Unfall gebe, würde er seinen Kopf und Haus und Hof riskieren.

Ich wurde wie ein durchgerosteter Tanker an die Kette gelegt und bekam im Unterwasser einen Platz zugewiesen, an dem ich übernachten sollte. Die Zeit ging rum, ich bruzzelte mir was, es wurde dämmrig und ich rechnete ehrlich gesagt nicht damit, daß die Gendarmerie tatsächlich kommen würde. Sie kam aber doch und die Angler vor dem Untertor verkürzten rasch ihre Leinen. Doch der Besuch galt nicht ihnen, sondern dem Mann mit dem Kanu gleich nebenan.

Die Gendarmerie war sehr nett, das kann ich nicht anders sagen. Sie waren auf meiner Seite, taten aber korrekt ihre Pflicht. Das Boot wurde beguckt, der Personalausweis abfotografiert und ich mußte unterschreiben, daß ich mich bis zum folgenden Tag vor 14.00 nicht von dem Platz fortbewegen würde, bis man mir mitteilte, ob ich weiterfahren dürfe oder nicht. Ich war wenig begeistert, denn meine Vorräte gingen gegen Null . Sie versprachen, sich Mühe zu geben, mich nach Möglichkeit schon vor 14 Uhr zu informieren.

Ich kam mir nach drei Wochen Freiheit auf den Kanälen so kurz vor dem Rhein wie ein Gefangener vor und habe entsprechend schlecht geschlafen. Am anderen Tag kam der Chef der Schleuse (und eines Abschnitts von CARING - ich hörte das erste Mal von diesem Alarm- und Meldezentrum) und lud mich auf ein Croissant und einen Kaffee auf dem Schleusengelände ein! Er war wirklich sehr nett und tat alles, um mir in meiner Lage nach Möglichkeit zu helfen. Das galt übrigens auch für die Gendarmerie. Aber entschieden wird - zumal im zentralistischen Frankreich - oben.

Dann war auch noch mein Handy alle. Zu viel telefoniert gestern mit Schleuse, Gendarmerie und zuhause: "bitte laden Sie Ihr Handy auf" hieß es sinngemäß, denn in Frankreich benutzte ich eine französische SIM-Karte. Ich konnte jetzt niemanden mehr anrufen, war aber zum Glück noch erreichbar, denn um 10 oder 11 Uhr herum meldete sich die Gendarmerie und fragte, ob ich noch auf meinem Platz sei und sagte dann: "C`est bon pour vous!" - die Genehmigung zur Weiterfahrt war erteilt worden! Ein Knackpunkt war offenbar meine schwache Motorleistung gewesen. Man hatte Angst, daß ich mich zu einem Kraftwerk verfahren könnte und dann nicht mehr dort wegkommen würde.

Nichts wie weiter. Herrlich, wieder ein freier Mensch zu sein. Die Gendarmerie meldete mich sogar in Ottmarsheim an - möglicherweise hatte man dort die Anweisung gehabt, das rote Kanu nicht zu schleusen, falls es "zu früh" dort ankommen sollte ... In Ottmarsheim gab es eine Lichterpanne: ich sollte bei Rot hinter dem EUROPA einfahren. In Fessenheim - oder war es Vogelgrün? - hatte ich den CHINOOK vor mir. Der Schleusenmeister kam extra an und kontrollierte, daß ich am Schwimmpoller festgemacht hatte und fragte, ob ich denn mit dem Ding überhaupt auf dem Rhein fahren dürfe … ich dachte nur: Nicht schon wieder!

:wink: Gernot

Gernot Menke
27.07.2010, 21:42
Morgens um 6 fuhr ich von Breisach aus weiter - die Pferde rochen den Stall und ich wollte mindestens noch hinter Iffezheim. Kurz vor Marckolsheim war auf einmal ein ziemlicher Betrieb - einige Bergfahrer kamen mir entgegen und ich wurde von zwei Schiffen überholt, darunter auch vom Tanker PETRUSSE. Beide fuhren in die kleine Kammer, doch die Ampel blieb lange auf Grün. Ich dachte, ich sollte noch mit hinein, aber als ich heran war, sah ich, daß kein Platz mehr war und prompt bekam ich auch "Rot“. Hinter mir näherte sich noch ein Koppelverband für die große Kammer. Es war klar, daß er die Kammerlänge brauchte und hinter ihm kein Platz mehr war, aber die große Kammer faßt zwei Schiffsbreiten. Die Ampel blieb hinter dem Koppelverband grün und ich fuhr wieder zu meinem Schwimmpoller. Abschleusen wie gehabt. Unten machte ich Bild 3. Es ist das letzte Bild auf meiner Chipkarte...

Ich kann micht nicht mehr daran erinnern, daß der Koppelverband, dessen Name ich hier nicht nenne, die Maschine mitlaufen ließ. Andererseits ist es wahrscheinlich wegen des geringen Platzes, den er hinten hatte. Ich denke mal, daß das bißchen Wasser, das auf dem dritten Bild strömt, vom Schiff kommt. Es war nicht störend, sonst hätte ich das Foto nicht machen können. Was mich viel mehr störte, waren die getönten Scheiben des Steuerhauses. Es war mir so nicht möglich, mit irgend jemandem im Steuerhaus Sichtkontakt aufzunehmen und ich konnte nur annehmen, daß sie mich gesehen hatten, nachdem ich ihn beim Einfahren im Oberwasser vorbeigelassen hatte.

Dann sah man - das Untertor war inzwischen offen - einen Kopf unter dem Autokran nach hinten gehen. Er guckte nicht nach links oder rechts und ehe ich mich versah, war er wieder verschwunden. Jetzt machte der KV wohl seine zweite Maschine an und ich ging zwei Meter vor, um den Poller direkt querab zu haben, denn das Schraubenwasser kam vom Drempel auf mich zurück. Jetzt ging alles ganz schnell. Der KV ging auf Drehzahl, das Kanu zur Seite und ehe ich denken konnte, hing ich am noch eingehängten Seil, das Kanu kieloben zehn Meter weiter und diverse Teile drehten ihre Kreise. Wie ein Bergsteiger in der Wand konnte ich mich in der Strömung zur Leiter abseilen, die man wenige Meter hinter der Gleitschiene für den Schwimmpoller sieht (mit Ausnahme des dritten Bildes sind die Schleusenbilder natürlich in einer vorhergehenden Schleuse entstanden). Auf der Leiter angekommen, konnte ich das umgeschlagene Boot irgendwann beiziehen, doch wegen des großen Schleusenhubs reichte die Leine nicht bis ganz nach oben. Ich machte sie so weit oben, wie es ging, an der Leiter fest und sagte dem Schleusenmeister Bescheid.

Der kam schon nachsehen, was denn da für ein Zeug in seiner Kammer schwimmt. Ich bin wirklich froh, wie der Schleusenmeister reagiert hat. Er fuhr die Kammer erst halb nach oben, so daß ich die Bootsleine lösen und ganz oben festmachen konnte, dann ganz hoch. Erst mal das Boot gedreht und den Motor ab. "Paß auf, daß er dir nicht ins Wasser fällt" meinte der Schleusenmeister, das vollgeschlagene Boot mit einem Haken sichernd. Er sagte mir, daß ich Zeit hätte, weil jetzt keine Schiffe mehr kämen, machte das Obertor einen Spalt weit auf, damit ich das Kanu ins OW hinausziehen und vor der Schleuse am schrägen Betonufer Stück für Stück umdrehen konnte. Auf einer heutigen Schleuse gibt es keine Schöpfeimer mehr! Mit dem einigermaßen leeren Boot wieder in die Kammer, das nächste Paddel gefischt und dann alles eingesammelt, was da (noch) so rumtrieb. Meine Aufzeichnungen der Reise waren leider nicht mehr dabei.

Die Leute vom Tanker PETRUSSE in der kleinen Kammer hatten das mitbekommen. Sie gingen extra noch einmal nach oben, so daß ich, als alles beisammen war, aus der großen in die kleine Kammer paddeln konnte und nahmen mich dann mit bis in den Ölhafen in Straßburg, wo ein Besatzungsmitglied das mir dann gemailte letzte Foto machte - meine Kamera schwamm ja zehn Minuten im Wasser und ist wohl hin. Zum Glück funktioniert die Chipkarte noch, so daß wenigstens meine Bilder der Reise gerettet sind.

Der Schiffmann des PETRUSSE meinte, ich hätte den Matrosen des Koppelverbands, als er nach hinten ging und kurz zu sehen war, anschreien müssen. Da hat er wohl recht - schaden hätte es ja nicht können. Auch war es - Handy leer oder nicht - wohl leichtsinnig, ohne Kontakt zur Schleuse einzufahren. Der Schleusenmeister wußte jedenfalls nicht, daß ich mit in der Kammer war, auch wenn ich das angesichts der Einfahrtsregelung angenommen hatte. Andernfalls hätte er dem Koppelverband Bescheid gesagt, daß er langsam ausfahren soll.

Allerdings ist es das erste Mal in vielen Jahren, daß es mir weder bei der Einfahrt, noch beim Festmachen, noch während des Abschleusens und auch beim Losmachen nicht gelungen ist, Kontakt mit dem anderen Schiff aufzunehmen! Hier war es ungünstig, daß der KV seitlich lag. So fehlte der freie Blick nach hinten, der vom Poller eines Schiffs vor mir sonst besteht (Bilder 1 und 2). Die Schwimmpoller sind natürlich sehr angenehm, wenn sie funktionieren, doch dienten sie in diesem Fall sicher nicht dazu, die Aufmerksamkeit auf dem KV zu erhöhen. Ich kann trotzdem nicht verstehen, daß sie mich weder bei der Einfahrt im Oberwasser, noch in der Schleuse gesehen haben.

Ein weiterer Punkt sind die getönten Scheiben - es kann meiner Meinung nach nicht sein, daß man von außen nicht in einen Steuerstand hineingucken kann und so kein Sichtkontakt möglich ist! So konnte ich nur darüber mutmaßen, ob da einer zu mir herübergeguckt hatte oder nicht. Ich mag es nicht, wenn man keinen Sichtkontakt zu einem Schiff in unmittelbarer Nähe hat. Die Schiffsleute des PETRUSSE offenbar auch nicht: sie nennen die getönten Scheiben "Anti-Wink-Folie". Mir war das bisher noch gar nicht aufgefallen - wie viele von diesen getönten "Nur-Rausguck-Fenstern" fahren eigentlich herum?

Meine Festmach-Position so kurz vor dem Drempel, direkt neben der Schraube des KVs, dessen Schraubenwasser vom Drempel auf mich umgelenkt wurde, war sicherlich auch nicht gerade ideal. Es wäre schlauer gewesen, weiter vorne festzumachen und dann VOR dem KV auszufahren und ihn dann wieder vorbeizulassen. Aber ohne Kontakt zur Schleuse macht man so etwas nicht - zu tief sitzt das Gefühl: du bist hier der kleine Wicht, der grundsätzlich jeden vorzulassen und niemanden zu behindern hat und froh sein kann, überhaupt mitgeschleust zu werden! Da verdrückt man sich eben in die Winkel und Nischen, die es ja auch sehr oft gibt und die man nutzen kann. Diese hier neben dem Heck des KV war auch eine, aber vielleicht eine falsche. Bei sachter Ausfahrt des KV wäre es aber gegangen.

Es dauerte eine Zeitlang, bis sich mein holländischer Schiffmann auf dem PETRUSSE entschloß, seinen ebenfalls holländischen Kollegen auf dem Koppelverband, der zwei Schleusen weiter warten mußte und den wir fast einholten, anzurufen. Ich verstand das Holländisch meines Schiffmanns vom PETRUSSE ganz gut. Er erzählte, was geschehen, daß aber niemand verletzt war und fragte, ob sie mich denn nicht gesehen hätten. Von der Antwort verstand ich fast nichts - mein Schiffmann sagte, der vom Koppelverband habe Dialekt gesprochen. Sie hatten mich wirklich nicht gesehen. Der Mann auf dem Koppelverband klang recht kleinlaut und es war dreimal "excuus" mit drin. Damit ist die Sache für mich erledigt.



:wink: Gernot

PS: Auf dem Schild, das man auf dem letzten Foto am PETRUSSE sehen kann, steht ein Hinweis auf www.provencevacances.com (http://www.provencevacances.com/) - das ist irgendwo an der Ardèche, wo - wenn ich es richtig behalten habe, der Sohn des Schiffmanns, der sich mit dem Vater auf dem Tanker ablöst - wohnt. Zum Dank an die nette Hilfe der PETRUSSE-Leute gebe ich das hier einfach mal weiter, auch wenn es wohl ein Zufall war, das das Schild mit auf dem Bild ist. Auf zwei weiteren Fotos ist das Schild nämlich nur zum Teil mit drauf.