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Gernot Menke
02.10.2013, 18:45
Das NARROWBOAT haben wir diesseits des Kanals als ein hierzulande auffälliges Touristengefährt kennengelernt. Die Abmessungen betragen 21,34 x 2,13 m – das sind 70 x 7 Fuß.

Diese heute winzig erscheinende Größe erklärt sich zum einen daraus, daß es mit der Industrialisierung in England bereits im 18. Jahrhundert losging – da waren 35 Tonnen, die diese Schiffe laden konnten, eine beachtliche Größe. Zugleich half die Beschränkung auf dieses Maß, Wasser zu sparen und Kanäle und Tunnels mußten nicht so breit gebaut werden.

So entstand das typische Narrowboat. Natürlich gab es Unterschiede je nach Bauwerft, wie überall. Zugleich aber bildete sich eine Narrowboat-Tradition mit feststehenden Merkmalen heraus. Dazu gehörten zunächst einmal die Einrichtung und der Schmuck dieser Boote. Zunächst einmal die Masten im Laderaum, die oben flach etwa in Höhe des Daches der Wohnung endeten und Bohlen trugen, denn die schmalen Schiffe besaßen kein Gangbord. Zugleich dienten diese Masten als Stützen für das Planendach. Das flache obere Ende dieser Masten (nur der vorderste war ein kleines Stück als Treidelmast verlängert) war grundsätzlich in viereckiger Form verziert: das Viereck wurde diagonal in vier Dreiecke unterteilt, die in unterschiedlichen Farben gehalten waren. Das hatte eine ähnlich markante Wirkung wie bei größeren Schiffen das Signal am Kopf.

Und erst die Wohnung. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, daß der untere Teil der Holztäfelungen der Wohnungstüren auf der Hinterseite der Wohnung ein Muster tragen mußte, oftmals aus Blumen, während oben immer die Darstellung einer Burg oder eines Schlosses zu sehen war. Die Täfelung der Türen hatte auch eine große Wirkung nach außen, wenn die Türen während des Steuerns offenstanden und stellte gewissermaßen das hintere Signal dar.

Der Eingang zur Wohnung war U-förmig in die Wohnung eingeschnitten und wurde nach hinten durch die Türen und nach oben durch ein waagerechtes Schiebeluk abgeschlossen. Während der Fahrt stand der Schiffer in diesem Einschnitt. Bei schönem Wetter standen die Türen offen und die Täfelungen entfalteten ihre schöne Wirkung. Der Schiffer konnte sich auch seitlich auf die Wohnung setzen und steuern. Bei Regen und Kälte schloß er die Türen hinter sich und kam so – das Schiebeluk bis an den Bauch herangezogen – vom Bauchnabel bis zu den Füßen in den Genuß der Wärme des Kohlenofens der Wohnung.

Klar, daß bei 6 Quadratmetern Wohnfläche jeder Flecken genutzt war. Die Trittstufe hinunter in die Wohnung war hochklappbar – darunter befanden sich die Kohlen für den Koch- und Heizofen, der an Backbord stehen MUSSTE. Der mit Ringen verzierte (und natürlich abnehmbare) Kamin gehörte gleichfalls zum Schmuckrepertoire eines jeden Narrowboats. Ebenso diverse Wasserkannen oder Eimer. Klar, daß man solch große und wasserbeständigen Gegenstände nicht überflüssigerweise in der winzigen Wohnung aufbewahrte – bei der reichhaltigen Verzierung dieser Gegenstände, die auf JEDEM Narrowboat links vor dem Kamin zu stehen hatten, bin ich mir aber nicht in jedem Fall sicher, ob das vorrangig Gebrauchs- oder Schmuckgegenstände waren.

Die Sitzgelegenheit gegenüber des Ofens an starbord diente als ein Zusatzbett. Unter dem Bett und an allen „überflüssigen“ Stellen natürlich Regale und Fächer, besonders auch für Kleidung. Die war immer picobello, ein Schiffer hatte drei weiße oder jedenfalls helle Hosen, eine am Leib, eine als Ersatz und eine war vermutlich in der Wäsche. Es gab eine reich verzierte Sonntagskleidung, deren Verzierungen sich mit den Verzierungen an den Masten des Schiffes deckten. Ob dies eher ein Komplex war und ein Versuch, angesichts der winzigen Wohnverhältnisse ein Stück bürgerlicher Kultur zu erhalten oder zu imitieren, kann ich nicht beurteilen. Aber in dieser Richtung muß man wohl suchen.

Das Schifferleben war hart, nicht nur wegen der Wohnverhältnisse, sondern auch wegen der langen Arbeitszeiten. Mit Dampfmaschine ausgerüstete oder motorisierte Narrowboats waren zu der Zeit, als mechanischer Antrieb noch selten und kostbar war, praktisch ständig in Bewegung, so wie auf dem Rhein die Schleppmotoren und die Schubboote. Aber auch im Pferdezeitalter gab es bereits die Continuefahrt! Die fly boats und die packet boats transportierten eilige Güter und Passagiere, sie waren schärfer geschnitten als normale Narrowboats und beschränkten sich auf 10 Tonnen Ladung. Sie kamen damit trotz der vielen Schleusen auf Durchschnittsgeschwindigkeiten von rund 5 km/h und fuhren in 24 Stunden 120-130 Kilometer. Vier Mann arbeiteten auf diesen Schiffen, wechselten sich also in zwei Teams ab. Solche rund um die Uhr fahrenden Schiffe hatten oft auch eine Bugwohnung, eine reine Schlafkabine mit nicht mehr als 1,40 m Höhe. Auch auf anderen Narrowboats gab es solche zusätzlichen Bugkabinen hin und wieder, sie waren aber nicht allzu häufig.

Aber auch auf den normalen Narrowboats war es unterwegs kaum besser. In der Regel wurde paarweise gefahren, das heißt mit zwei Narrowboats. Das hatte man bereits im Pferdezeitalter so gemacht, aber mit Einführung der Dampfkraft um 1860 wurde es zur allgemeinen Regel, daß ein Dampfboot einen Anhang bekam, den sogenannten butty. Manche Kanäle besaßen ja auch Schleusen, in die zwei Narrowboats hineinpaßten, sonst mußte eben hintereinander geschleust werden. Nun wurde vom Personal des Anhangs erwartet, daß es zwei Leute zum Schleusen stellte. Wenn die Besatzung auf dem butty also aus einem Ehepaar bestand, kamen beide Leute beispielsweise auf der wichtigen Verbindung zwischen London und Birmingham für 52 Stunden, die die Fahrt dauerte, nicht zu einem geregelten Schlaf. Einer mußte immer steuern, der andere konnte zwischen den häufigen Schleusen immer nur kurz mal abnicken.

Vorne auf dem Dampfboot waren sie wegen der Continuefahrt zu viert. Die Schichten wurden nicht nach Stunden, sondern nach Strecken eingeteilt. Ein kluger Schachzug der Gesellschaften, denn ein Schiffer, der sich beeilte, verkürzte dadurch seine Schicht. Blöd für den Heizer, der quer vor dem Kessel eine Hängematte „für zwischendurch“ baumeln hatte. Wenn der Dampfdruck stimmte, konnte er sich für eine bestimmte Zeit dort hineinbegeben, aber dadurch, daß der Schiffer mit viel Dampf gegen seine Schichtzeit anfuhr, wurden diese Pausen nicht länger. Die Praxis mit der Hängematte des Heizers wurde auch nur solange geduldet, wie der Heizer seiner Pflicht, ökonomisch zu heizen, nachkam. Voller Druck und dann gute Nacht – dann wurde ihm die Matte abgenommen.

Die Kohlen wurden bei den Dampfbooten mit Körben an Bord gebracht. Es gab keine mechanische Verbindung zwischen dem Steuerstand und der Dampfmaschine. Da die Dampfboote fast lautlos fuhren, rief der Schiffer dem Maschinisten die Kommandos zu oder er benutzte eine kleine Glocke. Die auf Hochglanz polierten edlen Dampfmaschinen waren durch einen Staubvorhang vom Kessel abgetrennt – die Hängematte dürfte sich auf der Seite des Kessels befunden haben, denn nur dort war etwas Platz, den man zum Heizen brauchte. So hatte es der Heizer beim Nickerchen schön warm – leider auch im Sommer.

Auf der Themse, wo man nicht treideln konnte, nahmen die dampfgetriebenen (und später die motorgetriebenen) Narrowboats horse boats mit, also getreidelte Narrowboats samt ihres Anhangs und hatten dann drei Schiffe im Schlepp, meist im Zweierpäckchen. Die Liegestellen im Tidebereich waren gefürchtet, weil die Narrowboats mit ihren flachen Böden dazu neigten, sich festzusaugen und dann bei Flut nicht aufschwammen. Dasselbe Problem hatten die Penischen im Tidebereich – während man für die schweren Penischen Bohlen am Boden der Liegestellen verlegte, behalf man sich bei den Narrowboats in England einfach mit Seilen, die man unter dem Rumpf hin und herzog, sobald das Schiff aufschwimmen sollte.

Seit 1906 begann die Motorisierung mit Gasölmotoren. Beliebt waren Motoren von Gardiner und vor allem die Einzylinder-Langsamläufer von Bolinder wegen ihrer Unverwüstlichkeit. Diese Motoren, die vor dem Start vorgewärmt werden mußten, waren bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen Narrowboats zu finden.

Die getreidelten Narrowboats begannen nach dem Zweiten Weltkrieg eine seltene Erscheinung zu werden. Es gab sie aber auch weiterhin, weil sie ins System paßten: die Kähne ließen sich über längere Strecken von Motorschiffen mitnehmen und legten dann die letzten Meilen zu einer abgelegenen Ladestelle alleine mit Pferdekraft zurück. So gab es noch in den 1970ern in Birmingham ein Narrowboat, das auf einer bestimmten Kanalstrecke mit einem Pferd getreidelt wurde.

Auch die Holzschiffe starben nicht so früh aus, wie man es vom Rhein her gewohnt ist. Noch 1930 baute die Werft Walkers in Rickmansworth – das liegt am nordwestlichen Rand von London – reine Holzschiffe und auch viele Mixschiffe aus Stahl mit einem Boden aus Ulmenholz wurden um diese Zeit noch gebaut. Einzelne Holzschiffe arbeiteten noch bis zum bitteren Ende der frachtfahrenden Narrowboats um 1970, so auch der RAYMOND, der butty des stählernen ROGER, der auf dem Titelbild des Büchleins zu sehen ist, dem ich all diese Informationen entnommen habe: Tom Chaplin: A Short History of he Narrowboat, erschienen 1967, Neudruck 1985 bei Shepperton Swan Ltd.

Wie überall, hatten auch die britischen Schiffsleute ihre Kniffe und Tricks, die Schleusendurchfahrten zu beschleunigen. Ein Vorteil war sicherlich, daß die englischen Schleusentore durch die immens schweren Hebel (auf dem Bild schön zu sehen) gut ausbalanciert und dadurch relativ leichtgängig waren. So schloß man die Tore mit Querruder und einem Schuß Volldampf mit dem Schraubenwasser oder öffnete die Tore mit Knoten, die sich bei der Ausfahrt von alleine lösten, vom Schiff aus. Auch wurden Obertore etwas aufgefahren, um das Füllen der Kammer zu beschleunigen und dann auch gleich auszufahren. …Solche Kunststückchen waren freilich verboten und wurde man erwischt, wurde es teuer. Aber anders konnte man solche Zeiten nicht erreichen wie 390 Kilometer mit 186 Schleusen in fünf Tagen oder 50 Kilometer mit 44 Schleusen in 9 Stunden!

Solche Zahlen muß man einmal nachrechnen, um zu ersehen, wie schnell da geschleust und wie lange da in die Nacht gefahren wurde, damit diese Zahlen herauskamen. Um das letzte Beispiel zu nehmen: wenn man annimmt, daß das beladene Narrowboat mit seinem natürlich ebenfalls beladenen Anhang mit 11 km/h durch den Kanal fuhr, dann blieben pro Schleusung genau 6 Minuten, einschließlich des Langsammachens und des Wiederanfahrens an den Schleusen! Setzt man acht Minuten pro Schleusung an, müßten die Schiffe mit 17 km/h unterwegs gewesen sein.

Wie gesagt, die Schiffsleute hatten überall ihre Kniffe und kannten sich aus. Daß man schwierige Stellen mit starker Strömung mit Treidelschiffen überwand, indem man ein Seil vor dem Schiff an Land befestigte, es am Schiff über eine Rolle führte und dann am anderen Ende etwa vom Ort der Landbefestigung aus zog, so daß man eine Untersetzung von 1:2 wie bei einem Flaschenzug hatte, gab es auch an der Marne. Aber in England mit seinen vielen Schleusen und kleinen Narrowboats entwickelte man dieses System weiter zu einer ganz einfachen und wirksamen Anfahrhilfe, die nicht nur schnell und unkompliziert einsatzbereit war, sondern auch ohne Zwischenstopp nach dem Anfahren von alleine „in den zweiten Gang hochschaltete“ und die normale 1:1 Treidelübersetzung wiederherstellte. Und das funktionierte so, wie auf den zwei Skizzen zu sehen:

Wenn das Pferd anzog, wirkte der Zug auf dem ganzen Seil zwischen dem Pferd über die Rolle am Treidelmast bis hin zum Landpoller dergestalt, daß wie bei einem Flaschenzug eine 1:2-Untersetzung zustandekam. Sobald aber der in das Seil eingearbeitete Knebel die Rolle am Treidelmast erreichte und dort hängenblieb, wirkte wieder die ganz normale 1:1-Verbindung zwischen Pferd und Treidelmast, während das zum Landpoller führende Ende schlaff wurde und ausgehängt werden konnte. An der nächsten Schleuse brauchte man das Auge nur wieder einzuhängen und nichts zu lösen und wieder festzumachen. Ich weiß nicht, ob dieses System auch für die schwereren Penischen brauchbar gewesen wäre, aber für die Narrowboats war es ideal.

christophe
03.10.2013, 07:35
Moin, danke Dir, das war sehr interessant:-)

Christophe

Hein Mück
21.12.2014, 16:02
Moin,

hier einige narrowboats, die am 05.06.2014 in Stratford-upon-Avon lagen.

Tschüss
Hein Mück

Rohanseat
21.12.2014, 16:31
Das war gut eingestellt.-Im hafen von Bristol liegen noch jede menge von den "narrow boats" die für touristen zur verfügung stehen aber auch als unterkunft (hausboot) dienen.Damit läßt sich dannn derAvon befahren.-Leider blieb in Gb die zeit stehen und an kanälen wurde nichts gemacht um sie als transport weg zu nutzen.So verwandelt sich alles in ein riesiges museum.Dazu zählt auch der hafen von Bristol der seine schleusen richtung see nicht mehr öffnet.Bei ebbe ist der Avon nur ein kleines rinnsal.-Sollte jemand von euch einaml in diese stadt kommen, dann liegt unter einem schutzdach mit schutz atmosphäre das erste stählerne dampfschiff der welt.: Great Brittain mit namen.-Leider komme ich mit dem einstellen von bildern nicht klar.--Habe viele bilder davon.