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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : 01/2008 - Neu Kohlenschifffahrt auf der Ruhr zwischen 1780 und 1890



Norbert
16.01.2009, 22:56
Auszug aus der Verbandszeitschrift des DMB "Leinen Los" Ausgabe 1 / 2008




Als noch Getreidelt wurde




Kohlenschifffahrt auf der Ruhr zwischen 1780 und 1890





Die Ruhr, ein Fluss in Nordrhein-Westfalen, entspringt am Ruhrkopf in der Nähe von Winterberg im Sauerland und mündet nach 235 Kilometern bei Duisburg-Ruhrort in den Rhein. Zwischen 1780 und 1890 trug sie zur Entstehung der nach ihr benannten Region, das „Ruhrgebiet“ bei.
Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte noch Kleinstaaterei in Deutschland. Die Ruhr floss durch verschiedene Territorien. Am Oberlauf lag die zu Preußen gehörende Grafschaft Mark mit den Städten Bochum und Hattingen. Daran grenzte am rechten Ruhrufer die Reichsabtei Essen sowie das am linken Ufer liegende Reichsstift Werden an. Im Anschluss daran folgten im Unterlauf das Gebiet der zum Herzogtum Berg gehörende Herrschaft Broich sowie das preußische Herzogtum Kleve mit Ruhrmündung bei Ruhrort und die Stadt Duisburg.

Preußen versuchte schon seit längerem, die durchgängige Befahrbarkeit der Ruhr zu erreichen, scheiterte aber immer an den Widerständen einzelner Landesherren. Dabei versuchte jeder seine eigenen Interessen durchzusetzen und daraus Kapital zu schlagen. Aber das waren noch nicht alle Hindernisse für eine durchgängige Ruhrschifffahrt. Der Fluss war an vielen Stellen mit Steinwehren, sogenannte „Schlagde“, aufgestaut, die den Betrieb von Wassermühlen ermöglichten. Diese Schlagde waren für Schiffe unpassierbar und so musste die Ladung mehrfach von einem Schiff zum anderen umgeladen werden. Das war nicht nur zeitaufwendig, sondern auch die Qualität der Ladung litt sehr darunter.

Nach langwierigen Verhandlungen mit allen Anliegern erreichte Preußen, dass zwischen 1776 und 1780 der Fluss ausgebaut und 16 Schleusen errichtet werden konnte. Nach Abschluss dieser Arbeiten war die Ruhr auf einer Länge von 74 Kilometern schiffbar und zwar von Fröndenberg bis zur Mündung in den Rhein. Die Schleusen waren teilweise aus Holz errichtet und mussten später wegen Beschädigung bei Hochwasser und Eisgang aus Stein neu gebaut werden. Finanziert wurde der Ausbau von der preußischen Staatskasse. Diese gewährte der Kohlenniederlagekasse in Ruhrort einen Kredit, der später zurückgezahlt wurde. Dabei diente der Erlös der transportierten und verkauften Kohlen als Sicherheit. Das Geld wurde nicht nur zum Bau der Schleusen verwand, sondern auch zum Umbau der Schlächte und Wassermühlen.

Interessant ist, dass einige Schleusenneubauten von Firmen, die Interesse an der Schifffahrt hatten, privat finanziert wurden. Sie erhielten dafür später regelmäßige Entschädigungszahlungen aus der Kohlenniederlagekasse. Daneben war die für den Fluss zuständige Ruhrschifffahrtsverwaltung ständig damit beschäftigt, das Flussbett mit seinen Wasserbauten wie Buhnen, Leinpfade, Schleusen, Schlächte und Schutzhäfen in gutem Betriebszustand zu halten. Bei der jährlichen Flussbefahrung nahmen die zuständigen Mitarbeiter Schäden und Mängel auf und ließen diese dann beseitigen. An der Ruhr gab nicht nur Bergbau, sondern auch Korn- und Ölmühlen, Hammerwerke, Blaufärbereien, Gießereien. Eine Gewehrfabrik hatte sich ebenfalls bereits in Flussnähe angesiedelt und nutzten die Ruhr zum Abtransport ihrer gefertigten Waren. Das Haupttransportgut aber blieb die Kohle aus den am Flusslauf liegenden Gruben sowie anfangs das Salz aus der Königlichen Saline Unna-Königsborn.
Schon 1801 gab es den ersten Umbruch. Wegen des zu geringen Frachtaufkommens in der Salzfahrt gab man die obersten drei Schleusen bei Herdecke, Wetter und Witten auf.

Der Schiffstyp, der diese Waren beförderte, war die Ruhraak, ein aus Eichenholz gebautes, sehr flachgehendes Fahrzeug mit einer Länge von 34,5m bis 38m, einer Breite bis 5,12m bei einer Bordwandhöhe von nur 1m. Die Tragfähigkeit betrug zwischen 90 und 165 Tonnen. Charakteristisch für diesen Aaktyp sind die hochgezogenen Bug- und Heckenden, sowie der im Bogen geschwungene Helmstock über dem Ruder. Sie hatte einen Mast für das Focksegel, sowie ein gaffelgetakeltes Großsegel, die Seitenschwerter waren in Höhe des Mastes an der Bordwand angebracht. Zur Besatzung gehörten in der Regel der Schiffer, zwei Schiffsknechte und ein Schiffsjungen. Ihre Unterkunft war eine kleinen Kajüte vorne im Bug. Um den Tiefgang so gering wie möglich zu halten, er lag bei etwa 0,23m, hatte die Ruhraak offene Laderäume, da die Kohlenladung nicht gegen Feuchtigkeit geschützt werden brauchte. Über das obere Ende des Mastes führte das lange Treidelseil, sodass die Aak damit von zwei Pferden zu Berg gezogen wurde. Die Segel kamen nur im oberen Teil der Ruhr als Unterstützung der Pferde zum Einsatz. Auf dem Weg zum Zielhafen mussten die Aaken diverse Schleusen und auch einige Brücken passieren.

Bedingt durch die Flusskehren wechselte der Leinpfad von einer auf die andere Flussseite, dann wurde ein „Überschlag“ gemacht. Das hießt, zuerst musste das bis zu 400m lange Zugseil eingeholt und der Treiber mit seinen Pferden an Bord genommen werden, anschließend fuhr man zum gegenüberliegenden Ufer. Dort gingen Treiber und Pferde mit dem Zugseil wieder an Land und die Reise konnte fortsetzt werden.
Bei der Begegnung zweier Fahrzeuge kam es auf gutes Timing an, denn das vom Mast der zu Berg fahrenden Aak hängende lange Treidelseil musste dafür abgesenkt werden. Der Treiber hielt die Pferde so rechzeitig an, dass die Aak mit der Restgeschwindigkeit auslief. Dabei senkte sich das Treidelseil soweit ins Wasser ab; dass der Talfahrer darüber hinweg gleiten konnte. Am Zielort angekommen, begann die Beladung. Die Kohlen waren auf hochwassersicheren Plätzen (Kohlenniederlagen) zwischengelagert. Die meisten Zechen besaßen solche Niederlagen, in der Blütezeit gab es 85 davon. Bedingt durch Hoch- und Niedrigwasser oder Eisgang war es nicht möglich, die Ruhr ganzjährig zu befahren. So ruhte z.B. im Jahre 1856 die Schifffahrt an 140 Tagen, in anderen Jahren war es weniger. Doch häufig konnten wegen mangelnder Wassertiefe nur Teilladungen befördert werden.

Bei der Talfahrt trieb die beladene Aak mit der Strömung. Um den Windwiderstand zu verringern, wurde der Mast niedergelegt. Sie musste in tiefem Wasser gehalten werden, um sich nicht festzufahren. Bei einer Flussbreite von bis zu 52m war das in der kurvenreichen Strecke nicht einfach. Bei einigen besonders engen Stromkehren stand die ganze Besatzung am Ruder, um das Fahrzeug auf Kurs zu halten. Dabei halfen nicht nur die abgesenkten Seitenschwerter, sondern auch der als Bugruder über den Bug ausgebracht Vorderriemen. Als problematisch konnte auch das Einfahren in einen Schleusenvorhafen mit einer beladenen, schlecht manövrierbaren Aak angesehen werden. In einigen Fällen lag die Schleuse mit den Vorhäfen in einer Kurve. Dafür war am Anfang des Vorhafens ein massiver Pfahl in die Erde eingelassen. Auf ihm befestigte die Besatzung ein starkes Seil womit das Fahrzeug abgebremst wurde. Gelang dies nicht oder war die Besatzung zu ungeschickt, drohte die Aak von der Strömung auf die meist neben der Schleuse liegenden Schlagd gedrückt zu werden, was immer zum Verlust von Fahrzeug und Ladung führte. Um anschließend die Schleusenkammer zu erreichen, stakte die Besatzung ihr Fahrzeug mittels langer Stangen, sogenannte Fahrbäume vorwärts. Die Schleusenkammern waren 40m lang bei einer Breite von 5,50m, ihre Hubhöhe variiert zwischen 1,5m und 6 m. Geschleust wurde in der Regel vom Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit.

So passierten im Mai 1857 durchschnittlich 59 Schiffe pro Tag die Schleuse Mülheim. Die Schleusenmeister führten nicht nur Buch über die geschleusten Fahrzeuge, sondern auch über die transportierte Ladungsmenge. Im Eröffnungsjahr 1780 wurden bereits 12.000 t gezählt, bis 1789 wuchs die jährliche Menge auf 31.000 t an. Die Nachfrage nach Steinkohle stieg und so erhöhten die Bergwerke stetig ihre Förderleistung. Im Jahre 1860 erreichte die Transportleistung ihren Höhepunkt mit 864.961 Tonnen Kohle, das waren 92% der insgesamt 940.175 t beförderten Güter. Diese Steigerung war bedingt durch den 1830 einsetzenden Übergang vom horizontalen Stollenbergbau, zum senkrechten Tiefbau, erst möglich geworden. Die Kohle fand unterschiedlichste Verwendung. Kohle aus den Zechen in Mülheimer Raum wurde ausschließlich zum Heizen in Häusern verwendet. Für Fabriken-, Dampfmaschinen und auch bei den niederländischen Brandweinbrennereien eigneten sich Kohlesorten aus den Zechen an der oberen Ruhr. So sehr auch der Bergbau boomte und die Transportleistung auf dem Wasserweg anstieg, die Ruhr blieb mit ihren wechselnden Wasserstände unberechenbar. Nun begannen die Bergwerke nach und nach ihre geförderte Steinkohle mit der neu gebauten Eisenbahn abzutransportieren. Immer neue Strecken entstanden und so ist es nicht verwunderlich, dass die 1860 von der Schifffahrt transportierte Menge nur etwa 20% der Gesamtförderung war. Immer mehr Tonnage übernahm die Eisenbahn. 1873 blieben noch 327.000 t, ein Jahr später noch 77.000 t für die Kohlenschiffe übrig. Um den Niedergang aufzuhalten, war seit 1868 die abgabenfreie Schleusendurchfahrt verfügt. Damit entfielen zwar die Schleusengebühren, aber das Ende der Ruhrschifffahrt war nicht mehr abzuwenden. Nachdem 1889 nur noch 29 Aaken mit knapp 3.000t Ladung die Ruhr befuhren, wurde der Fluss 1890 als durchgehende Wasserstraße geschlossen, obwohl er sich wasserbautechnisch immer noch in einwandfreiem Zustand befand.

Es gibt verschiedene Gründe wie es dazu kam. Die neuen Eisenbahnen waren flexibler und schneller und kannten weder Eisgang noch Hoch- oder Niedrigwasser. Sie fuhren immer und dadurch wurden die Kohlenniederlagen überflüssig.
Im Bergbau war es seit 1838 möglich, Förderschächte senkrecht in die Erde zu graben (Abzuteufen) um damit unter die Mergelschicht zu kommen. Dadurch wanderte der Ruhrkohlebergbau langsam nach Norden Richtung Emscher und Lippe ab.
Als letzter Grund ist die Schifffahrt selbst zu nennen. In den 110 Jahren haben sich die Ruhraaken technisch kaum weiterentwickelt. Die Fahrzeuge wurden zwar an die Schleusenabmessungen angepasst und die Bordwände bis auf 1,10m erhöht. Damit vergrößerte sich zwar die Lademenge, ein Schleppbetrieb wie auf dem Rhein wurde allerdings nicht eingeführt. Die Ruhraak war in der Lage, Fahrten auf dem Rhein durchzuführen. Allerdings waren dafür kleinere Umbauten nötig. So nahm man in Mülheim oder Ruhrort einen zweiten Mast und ein zusätzliches Ankergeschirr an Bord. Die Bordwände wurden durch das Aufsetzten von „Setzborden“ noch weiter erhöht und mit Moos abgedichtet. Bei späteren Versuchen, auf dem Rhein eine Ruhraak von einem Dampfschlepper ziehen zu lassen, stellte sich heraus, dass der Rumpf zwar auf Tragfähigkeit ausgelegt war, aber beim Schleppen viel mehr Zugkraft als ein Eisenschiff benötigte. Während auf dem Rhein die Ära der Schleppschifffahrt mit Dampfschiffen begonnen hatte, wurden die Kohlenschiffe auf der Ruhr immer noch von Pferden getreidelt.

Heute ist die Ruhr auf einer Länge von 12 km eine Bundeswasserstraße und für die Großschifffahrt von der Mündung bis unterhalb der Mülheimer Schleuse nutzbar. Der Mülheimer Hafen mit einem Güterumschlag von 775.000 Tonnen in 2003, ist über die Ruhrschleusen Duisburg und Raffelberg zu erreichen. Oberhalb von Mülheim ist der Fluss eine Landeswasserstrasse in NRW und bis Essen-Rellinghausen für Personen- und Freizeitschifffahrt durchgängig befahrbar. Diese gibt es auch weiter oberhalb auf den künstlich angelegten Seen wie z.B. der Baldeney-, Kemnader- oder der Hengsteysee.
Ein wichtiger Zeitabschnitt des Ruhrgebietes ging zu Ende, als 1916 die letzte Ruhraak abgewrackt wurde.

Im Jahre 1999 begannen 24 Jugendliche in einem Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt der Stadt Mülheim / Ruhr mit dem Nachbau einer Ruhraak auf einer Mülheimer Werft. Im Herbst 2001 war sie fertig gestellt und ist nun Ausstellungsstück auf der Zeche „Nachtigal“ im Westfälischen Industriemuseum in Witten-Bommern. Dort wird an die Zeit des Ruhrbergbaus erinnert, als die Kohlenschiffe noch die Ruhr befuhren. Diese Ruhraak trägt den Namen von Ludwig Henz. Er war Mitte des 19. Jahrhunderts Wasserbaumeister an der Ruhr. Durch ihn sind viele Details, wie z.B. Statistiken, Streckenbeschreibungen und Befahrungsprotokolle aus dieser Zeit überliefert.
Text N. Hüls

Fotos: Blankenstein und Mülheim; Westfälisches Industriemuseum / Schleuse, Schleusenkanal, Ruhraak Bug und Heck N. Hüls

Alle Rechte liegen bei der Zeitschrift Leinen Los

Radarpilot
19.01.2009, 14:48
Moin moin,
auch heute ist die "Ruhr" eine sehr schöne Wasserstrasse und wird leider von der hiesigen Bevölkerung kaum erkannt. Selbst ich kenne fast alle Wasserstrassen in Europa, nur die Ruhr durchgehend von Duisburg - Ruhrort bis Essen war mir nicht bekannt. Bei meiner ersten Fahrt zwischen Mülheim Raffelberg und Mülheim Wasserbahnhof war ich erstaunt über soviel Natur. Zusammen mit der Weissen Flotte Baldeneysee haben wir vor Jahren die Strecke gesammt abgefahren, nur in Mülheim Wasserbahnhof die Fahrgäste getauscht damit jeder sein Fahrgastschiff abends wieder zu Hause hatte. Man muß sich das einmal vorstellen: Vor 153 Jahren konnte man morgens in Essen Werden auf ein Dampfschiff steigen und nach Homberg (jetzt Duisburg - Homberg) fahren und am gleichen Tag mit der Bahn nach Aachen weiterfahren. Also mit öffentlichen Verkehrsmitteln an einem Tag von Essen nach Aachen. Mein Nachfolger Walter Moser mit der "Rheinfels" und die Weisse Flotte Baldeneysee werden diese Route auch dieses Jahr durchführen.
Die "Ruhris" fahren eher zur Mosel oder Lahn bevor sie vor der Haustür
die schönsten Wasserstrassen besichtigen. Alle die die Fahrten mitgemacht
hatten war super begeistert. Danke schön auch für Deinen Bericht.
Vor der Haustür schauen gibt was.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Karmineke

Norbert
19.01.2009, 17:41
@ Radarpilot,

die Ruhr ist ein sehr Interessanter Fluss, das wissen viele nicht. Warum in die Ferne schweifen denn das Gute liegt so nah. Durch den Ruhrtalradweg kommt der Fluss den Menschen näher, er zeigt in seinem Lauf alle seine Facetten. Aber wäre die Ruhr heute noch so, wenn vor über 100 Jahren die Geschichte anders gelaufen wäre. Es gab ursprünglich mal Pläne den Herner Zweigkanal bis Essen-Steele weiter zu Bauen und das untere Ruhrtal als Schifffahrtsstraße mit einzubeziehen. Auch der Rhein-Herne-Kanal hätte dann warscheinlich einen anderen Verlauf bekommen. Die schnelle Nordwanderung der Kohlenzechen hat dies verhindert. Diese Wasserstraße wäre in den Rücken der Zechen gebaut worden, damit hätten sich dann mit der Zeit auch die Transportwege verlängert.

Ich kann nur jedem eine Schiffahrt zwischen dem Baldeneysee und Mülheim Empfehlen.

Gruß Norbert