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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : 08 / Die Entstehung der französischen Rheinflotte nach 1919 - Teil 1 - Schiffsabgaben



Muranfan
10.10.2018, 21:32
Die Entstehung der französischen Rheinflotte aufgrund der Abgaben nach dem Versailler Vertrag nach 1919 (Teil 1)

Vorbemerkung

CNFR oder CFNR oder gar CGNR? :roooll: Wie oft habe ich die französischen Reedereien verwechselt und nicht einordnen können. Allerdings bin ich anscheinend nicht der Einzige, der diese Schwierigkeiten hat. Wenn ich verschiedene Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften bzw. Beiträge im Forum lese, stelle ich fest, dass dieses Thema auch für Andere eine Herausforderung darstellt.
In unserem Forum findet man unter der Rubrik "Reedereien" - "C.N.F.R., Strasbourg" etliche französische Schiffe, die niemals bei der CNFR (die gab es nur von 1945 bis 1970) gefahren sind. Gleichwohl halte ich diesen Arbeitstitel für gut, denn erstens ist die große frz. Rheinreederei den meisten Fahrensleuten eben als CNFR geläufig und zweitens wäre es sehr kompliziert, das ganze Geflecht der großen frz. Rheinreederei in die Überschrift zu packen.
Hier müssten anderenfalls angeführt werden:
SENR (1919 bis 1927)
SFRR (1921 bis 1935)
CGNR (1924 bis 1987)
RHEA (1925 bis 2004)
CNFR (1945 bis 1970)
CFNR (1970 bis 2015)
und auch das O.N.N. (1912 bis 1991) => zwar keine Reederei, trat aber als Eigentümer der dem Staat Frankreich gehörenden Schiffe auf.

Daher ist es sicher interessant, einige wenige Hintergrund-Informationen zur Entstehung der frz. Rheinflotte und der frz. Rheinreedereien (dies folgt in Teil 2 dieses Beitrages) hier zusammenzutragen.

Wieso kam ich dazu?

Der leider im März 2018 verstorbene Binnenschiffahrtshistoriker Gunter Dexheimer lernte 1994 Madame Marie-Hélène David, damals Präsidentin des Strasbourger Rhein- und Schiffahrtsmuseums AMURE, kennen. Er konnte sie dafür gewinnen, einige Artikel über die große französische Rheinflotte zu schreiben und in den Bulletins des Museums zu veröffentlichen. Hierzu befragte Mme. David vorher etliche ältere Schiffer aus dem Elsass, die früher insbesondere bei der CNFR / CFNR / CGNR gefahren sind.

Leider fehlte noch ein Artikel über die Entstehung der französischen Rheinflotte nach 1919. Aus Altersgründen konnten die beiden Vorgenannten diese Arbeit nicht mehr selbst erstellen und haben daher mich intensiv mit Informationen, Unterlagen, Büchern, Zeitschriften und Fotos unterstützt.
Das Ergebnis floss zwischenzeitlich in 2 CEWE-Fotobücher zu diesem Thema ein, welches hier gekürzt ohne Graphiken und Fotos vorgestellt wird.

Immer wieder habe ich sinngemäß gelesen, "dass es eine Folge aus dem Versailler Vertrag war, 1919 eine französische Staatsreederei (O.N.N.) einzurichten."
Jedoch wird diese Aussage auch durch häufige Wiederholung nicht richtig. Tatsächlich wurde das Office National de la Navigation (O.N.N.) im Jahre 1912 gegründet und war eine Behörde (keine Reederei). Die Zeitschrift "Die Rheinquellen" Heft 7/8 / 1936 nennt diese Behörde korrekt: "Französisches Nationales Schiffahrtsamt". Dieses trat allerdings als Eigentümer für die dem Staat Frankreich gehörenden Schiffe auf, somit findet sich in den Rheinschiffsregistern oftmals die Eigentumsbezeichnung "O.N.N." (zu den vom O.N.N. gegründeten Reedereien siehe Teil 2 dieses Beitrages).


Quellen (Auszug der Wesentlichen)

Napp-Zinn, Dr. Anton Felix: Rheinschiffahrt 1913 - 1925; Berlin 1925

Haelling, Gaston: Die großen Rheinreedereien Frankreichs und des Auslands, in: La Navigation du Rhin Heft 1/1925 (Urtext französisch)

Rheinschiffsregister 1926 und folgende

O.N.N.: Article 357 du Traité de Paix, Paris 1923

Die Rheinquellen (schweizerische Schiffahrtszeitschrift; diverse Jahrgänge ab 1919)

La Navigation du Rhin (französische Schiffahrtszeitschrift; diverse Jahrgänge ab 1920)


1.) Die Abgabe von Schiffen an Frankreich

Am 28. Juni 1919 wurde der Friedensvertrag von Versailles signiert. Für die Rheinschiffahrt von größter Bedeutung war dabei der Artikel 357, welcher die Abtretung von Schiffen regelt. Hierzu gibt es vielfältige Literatur.

Diese Ausarbeitung basiert im Wesentlichen auf dem Buch von Dr. Napp-Zinn, (siehe oben), da er am ausführlichsten auf die Vorgänge eingeht. Ergänzungen erfolgten gelegentlich durch die anderen Quellen.

Bereits vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages (VV) gab es umfangreiche Verhandlungen zur Schiffsabgabe zwischen Frankreich und Deutschland.


1.1) Anspruchsgrundlagen der Alliierten aufgrund des VV

Gemäß VV gab es 3 verschiedene Anspruchsgrundlagen für die Abgabe:

I.) VV Teil VIII, Anlage III, §6: Wiedergutmachung
- Dies betraf die Rückgabe alliierter Schiffe, die Deutschland im Zuges des Krieges übernommen hatte
- Weiter betraf dies den Ersatz von Schiffsverlusten (nicht nur durch Kriegshandlungen, sondern auch durch beispielsweise Überalterung, Unfälle oder Sonstiges!)

Die Einzelheiten sollten durch einen von den USA zu ernennenden Schiedsrichter geregelt werden.

II.) VV Teil VIII, Anlage III, §7: Ansprüche der Alliierten aufgrund während des Krieges unter neutrale Flagge gestellter Schiffe
- Dies spielte keine große Rolle bei der Schiffsabgabe

III.) VV Teil XII, Artikel 357: Ansprüche der Alliierten aufgrund der Rückgabe Elsass-Lothringens
Hier beliefen sich die Forderungen nach Abgabe grundsätzlich auf:
- entweder Schlepper + Schiffe (aus den letzten Neubauten) sowie Einrichtungen (Lagerung/Umschlag)
oder
- Geschäftsanteile deutscher Rheinschiffahrtsgesellschaften

Die Entschädigung war anzurechnen auf die Gesamtschuld Deutschlands; die Entschädigung der bisherigen Eigentümer war eine Sache der deutschen Regierung.

Die Verhandlungen über die Abgabe waren innerhalb eines Jahres durch einen amerikanischen Schiedsrichter abzuschließen. Hierzu wurde im Juli 1920 Walker D. Hines bestellt. Die deutsche Delegation wollte zuerst über die Abgaben gem. §6, anschließend über diejenigen nach Art. 357, verhandeln. Es kam allerdings anders, zuerst wurde über Art. 357 verhandelt.


1.2) Die französischen Forderungen

Die frz. Forderungen wurden in 3 Denkschriften ("document rouge" mit Vorschlägen über die Durchführung von Art. 357 sowie den umfangreichen "document bleu" und "document jaune") ausgearbeitet.
Kurz zusammengefasst war die französische Argumentation:
1913 betrugen die Flaggenanteile in den elsässischen Häfen:
91,1% deutsche Flagge, 8,7% holländ. + belg. Flagge und nur 0,2% waren elsässischer Anteil.
Dies wurde zurückgeführt auf die Herrschaft des (deutschen) Kohlenkontors sowie die fehlenden Bemühungen von Seiten der deutschen Regierung, dem Elsass zu einer eigenen Schiffahrt zu verhelfen. Es gab daher keine Schifferschulen, keinen Schiffernachwuchs und keine selbstständigen elsässischen Schiffahrtsunternehmen. So stand das Elsass nach Kriegsende ohne Mann und Schiff da.
Aufgrund mangelnder Einigung des "Reichslandes" Elsass-Lothringen mit Bayern, Baden und dem Deutschen Reich musste statt der geplanten Regulierung des elsässischen Rheins der Plan eines Seitenkanals erarbeitet werden. Weiter wurden die Hemmungen beim Ausbau des Hafens Straßburg thematisiert. Man verwies auch auf die gewaltigen Zerstörungen durch deutsche Armeen.

Insgesamt sah Frankreich als Grundlage für Berechnungen den Verkehr des Jahres 1913 an, mit einem erheblichen Zuschlag für das jetzt nicht mehr durch eine Grenze abgeschnittene natürliche Hinterland Straßburgs sowie die bisherige, "unterdrückte" Entwicklung des Elsass sowie des Hafens Straßburgs.

Aufgrund umfangreicher Berechnungen betrugen die wesentlichen Forderungen:

- Kahnraum: 828.000 t
- Schleppkraft: 65.500 PS
(davon Schraubenboote für den Verkehr See - Duisburg 11.800 PS und 53.700 PS in Form von Räderbooten für den Verkehr von Duisburg zum Oberrhein)
- Tankschiffe: 5.000 t
- Güterboote: 8
- Personendampfer: 4
- Kranschiffe: 25
- sowie entsprechende Umschlags- und Lagereinrichtungen entlang des Rheins

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Der sicherlich der deutschen Argumentation nahestehende Dr. Napp-Zinn schreibt dazu:
Die "Schlüssigkeit" der französischen Darlegungen zu Art. 357 ist trotz einiger Erkünstelungen nicht abzustreiten.


1.3) Der deutsche Standpunkt

Zu den französischen Forderungen gab es umfangreiche deutsche Gegendarstellungen durch intensiven Austausch von Noten, Denkschriften und mündlichen Verhandlungen. Im Wesentlichen war die Argumentation von deutscher Seite:

- Elsass-Lothringen nahm zur Zeit des Reichslands von 1871 bis 1914 einen enormen Aufschwung
- Der Rheinausbau durch Tulla kam auch dem Elsass zu Gute (insbesondere der Hochwasserschutz)
- Die Absatzschwierigkeiten im Hinterland Strassburgs seien durch die Tarife der französ. Eisenbahn bedingt gewesen
- Man erwarte eher einen Verkehrsrückgang im Elsass, wenn dieses nun zu Frankreich gehöre
- maximal sei der Verkehr des Jahres 1913 als Grundlage ansetzbar

Auch die deutsche Delegation legte ausführliche Berechnungen vor und kam auf folgende Ergebnisse für die anstehende Abgabe von Schiffen gem. Art. 357 VV:

- Kahnraum: 111.000 t
- 7580 PS Schleppkraft (5 Räderboote und 6 Schraubenboote)
- Tankschiff: 1
- Ablehnung sonstiger Schiffe


1.4) Die Entscheidungen des Schiedsrichters Walker D. Hines zu Art. 357 VV

Um die Jahreswende 1920/21 fanden die letzten Verhandlungen in Paris statt. Ein Vergleich konnte aufgrund der divergierenden Interessen nicht erreicht werden.
Am 08. Januar 1921 fiel daher der Schiedsspruch von Walker D. Hines. Er hatte die Argumentationen beider Seiten intensiv geprüft und war in Teilen sowohl den französischen als auch den deutschen Argumenten gefolgt. Seine Entscheidungen hat er ausführlich begründet. Sämtliche Ergebnisse wurden vom O.N.N. in einem 137 Seiten umfassenden Buch (mit weiteren Anlagen) herausgegeben - siehe oben Quellen - aus der Sammlung M.-H. David.

Insbesondere nicht anerkannt hatte der Schiedsrichter den französischen Bedarf an Schiffsraum für die Reparationskohle, da dies in Artikel 357 nicht erwähnt sei. (Anmerkung: Es war also durchaus gestattet, die an Frankreich zu liefernde Kohle mit deutschem Schiffsraum zu befördern).

Die Entscheidung ergab als abzutretenden Schiffsraum gem. Art. 357 VV:

- Kahnraum: 254.000 t (entsprechend 11,5% der deutschen Rheinflotte)
- Schleppkraft: 23.760 PS (entsprechend 13,7% der deutschen Rheinflotte)
- Abtretung der gesamten Anlagen der BAG (Badische Aktiengesellschaft für Rheinschiffahrt und Seetransport in Rotterdam)
- Übereignung von 76% der Aktien der Rheinschiffahrts-A.G. vormals Fendel (da diese Reederei als Einzige das für die Fahrt nach Basel geeignete Schiffsmaterial besaß).
=> dabei war deren Schiffspark auf die obige Gesamtzahl der abzuliefernden Schiffe anzurechnen.

Daraufhin bestand für Frankreich allerdings die Gefahr, dass die gesamte Angestelltenschaft der BAG zur zweiten Hauptunternehmung dieses Konzerns übertreten würde und man nur eine "leere Hülse" (ohne Personal) erhalten würde.
Anfang April 1921 kam daher eine Vereinbarung zwischen der deutschen und französischen Regierung zustande, dass anstatt der Aktien nur die Flotte sowie ein Teil der Anlagen des Fendel-Konzerns in Mannheim, Ludwigshafen, Köln und Duisburg überlassen wurde.

In der "Notification" vom 15. Februar 1921 befinden sich 3 Anhänge (Annexe A, B und C), mit einer genauen Liste der abzugebenden Schiffe mit Namen.
Anhang A enthält die abzugebenden Schleppkähne (Chalands)
Anhang B enthält die abzugebenden Schlepper (Remorqueurs)
Anhang C enthält die Kähne, Schlepper, Tankkähne und Kranschiffe der Reederei Fendel

Liste zu 1.4) Abzugebende Räderboote gem. Art. 357:

Deutscher Name => Name bei der SENR => Name bei der CGNR

1. de Gruyter 5 => Strasbourg III => Saint Malo
2. H. Paul Disch IV => => Nancy
3. Gebr. Dörtelmann II (II) => Strasbourg V => Strasbourg
4. Braunkohle VI => => Metz
5. Franz Haniel XII => Strasbourg VI => Reims
6. Raab Karcher VI => => Lyon
7. Mannheim V => Mulhouse V => La Rochelle
8. Mathias Stinnes XVII => => Belfort
9. Robert Müser => => Paris
10. Fendel III => Mulhouse II => Bayonne
11. Fendel IV => Mulhouse III => Boulogne
12. Fendel VIII => Strasbourg I => Toulouse
13. Fendel IX => Mulhouse IV => Cette / Sète
14. Fendel XII => Strasbourg II => Rückgabe 1924 an Fendel (Rheinfahrt VII)
15. Fendel XIV (ZDHR) => Mulhouse I => Verkauf 1924 an die Oder (Vaterland)
16. Fendel XXI => Strasbourg IV => Rückgabe 1924 an Fendel (Baden VIII)


1.5) Die Entscheidungen des Schiedsrichters Walker D. Hines zu §6 VV "Wiedergutmachung"

Erst nach dem Schiedsspruch zu Artikel 357 begannen die Verhandlungen über die Durchführung zu §6, welche sich durch das erste Halbjahr 1921 zogen. Deutscherseits drängten die Rheinschiffahrtstreibenden darauf, dass diese Ansprüche ausschließlich durch Neubauten zu erfüllen seien.

Dem folgte die deutsche Regierung, die für die Kosten von Neubauten aufzukommen hatte, nur zögerlich.
Gemäß alliierter Reparationskommission beliefen sich die Binnenschiffsverluste während des Krieges auf:
- Frankreich: 540.000 t
- Belgien: 295.000 t

Diese Zahlen wurde von der deutschen Seite stark angezweifelt, dies änderte aber nichts an der ergangenen Entscheidung (Vertrag vom 06. Juni 1921) über das Ablieferungs-Soll.

Übrigens zogen Großbritannien, Italien und Portugal ihre Ansprüche gem. §6 zurück. Insgesamt war das Ergebnis für die Rheinschiffahrt enttäuschend, da dies zu einem weiteren, erheblichen Einschnitt in ihren Fuhrpark führte.

Weitere Änderungen ergaben sich aus späteren Verhandlungen sowie insbesondere der Besetzung des Ruhrgebietes.


1.6) Die Durchführung der Abgabe

Bedeutende Schwierigkeiten verursachte die Durchführung der Abgabe, einerseits im Hinblick auf die zu treffende Auswahl der Schiffe (wirtschaftliche Stärke der Unternehmen), andererseits durch die notwendige Einigung mit der Gegenseite über die Annehmbarkeit des Fahrzeuges.

Zuständig deutscherseits war der "Reichsausschuß für den Wiederaufbau der Handelsflotte", als Empfänger auf der französischen Seite fungierte das "Office National de la Navigation" (O.N.N.).

Die Übergabe der Fahrzeuge erfolgte in Mannheim und - größerenteils - in Duisburg.

Die Ablieferungen aus Art. 357 währten von Mai 1921 bis Oktober 1922, die aus §6 begannen im September 1921 und waren bei Beginn der franko-belgischen Ruhraktion Anfang 1923 bis auf einen unbedeutenden Rest erledigt.

Anmerkung:
Vielfach habe ich gelesen, dass Dampfboote angeblich 1920 zur CGNR kamen. Dies ist unzutreffend, da der Empfänger das O.N.N. war, zumal die CGNR erst 1924 gegründet wurde. Die ersten Schiffe kamen gemäß Napp-Zinn frühestens 1921 an Frankreich und wurden vom O.N.N. der SENR (siehe Teil 2 unter Kap. 2.4) übergeben.


1.7) Entschädigung der Schiffseigner

Der Gesamtabgang der deutschen Rheinflotte betrug aus Art. 357 sowie §6 rund 16,3% ihres Raumbestandes (265 Kähne), der Verlust an Schleppern (nur Art. 357) betrug rund 13,8% (32 Boote).
Die Abgaben betrafen weit überwiegend die Reedereien, aber auch Partikuliere erlitten Verluste.

Die Frage der Entschädigungen für die Enteignungen gestalteten sich zu einem langen und unerfreulichen Kapitel. Die Abwicklung der Entschädigungen erledigte die Binnenschiffahrtstreuhandgesellschaft für die Betroffenen. Die staatlicherseits gewährte Entschädigung blieb gering und erfolgte auch noch in der Zeit fortschreitender Geldentwertung (1923; dies war der Höhepunkt der Inflation!).

Somit konnte der Wiederaufbau der Flotten nur zögerlich erfolgen, gleichwohl führte dieser zum Überangebot in der Rheinschiffahrt, da ja die große französische Flotte zusätzlich zu den bisherigen Reedereien im Wettbewerb stand.


1.8) Besatzungen der neuen französischen Flotte

Die Besatzungen der "neuen" französischen Flotte bestand überwiegend aus dem bisherigen Personal, da es damals, wie bereits beschrieben, kaum elsässische bzw. französische Schiffahrtskundige auf dem Rhein gab. Noch Anfang 1932 waren auf den Schleppern 75% des Deckpersonals deutsch, auf den Schleppkähnen betrug der Anteil der deutschen Besatzungen gar 98%. Mit der Indienststellung neuer deutscher Schiffe wanderten die Besatzungen allerdings entsprechend ab, woraufhin die Löhne erhöht wurden (bzw. es wurden Zuschläge gezahlt). Dies brachte natürlich erheblichen Unwillen der konkurrierenden Rheinschiffahrt hervor. Frankreich unternahm sofort große Anstrengungen, eigene Binnenschiffer auszubilden. Räderboot Nantes wurde beispielsweise zum Ausbildungsschiff.

Eine Ausnahme bildete allerdings die in Rotterdam ansässige SFRR (siehe Teil 2 unter Kap. 2.5), auf den dort beheimateten Dampfschraubenbooten fuhren niederländische Besatzungen.


1.9) Die Besetzung des Ruhrgebietes und deren Auswirkungen auf die Abgaben

Am 26. Dezember 1922 stellt die alliierte Reparationskommission fest, dass Deutschland mit den Reparationslieferungen im Rückstand war. Nachdem am 09. Januar 1923 von der gleichen Kommission erklärt wurde, die Weimarer Republik halte absichtlich Lieferungen zurück, besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Darauf rief die Reichsregierung (Deutschland hatte keine bewaffneten Streitkräfte mehr) zum "passiven Widerstand" auf. Reparationslieferungen wurden eingestellt, Generalstreiks legten den Verkehr lahm. (siehe Wikipedia). Dies führte faktisch zur Stilllegung der Flotte.

Auf dem Rhein wurden die Schlepper vom Personal verlassen; die Kähne nur bei drohender Beschlagnahme. Die französische Schiffahrt, welche sich zu dieser Zeit zum größten Teil auf deutsche Besatzungen stützte, war besonders stark betroffen. Daher wurden u.A. frz. Matrosen von der Rheinflottille, schiffahrtskundige Leute aus dem Elsass, Fabrikarbeiter und Techniker auf die Schiffe geschickt. Dies führte allerdings zu erheblichen Problemen aufgrund fehlender Patente und etliche Havarien waren die Folge (so Napp-Zinn). Zahlreiche deutsche Schiffe wurden beschlagnahmt. Davon wurden die meisten später zurückgegeben, die in Frankreich bzw. Belgien verbliebenen Boote sind unten aufgeführt.

Eine Verkehrsbelebung ergab sich durch den Transport von Kohle aus England in die englische Zone (Köln). Hierzu wurden meist holländische Schlepper eingesetzt.

Frankreich und Belgien vermochten in dieser Zeit nur 1/5 der Menge Ruhrkohle abzufahren, die 1922 von Deutschland geliefert worden war. Erst im November 1923 wurde der passive Widerstand aufgegeben, es kamen die "Micum-Verträge" zustande. Einzelne Reedereien schlossen derartige Verträge ab. Es folgten Anfang 1924 das Dawes-Gutachten, intensive Verhandlungen, weitere Abkommen und schließlich der Staatsvertrag zwischen Deutschland einerseits und Belgien/Frankreich andererseits.
Insgesamt ergaben sich Erleichterungen der Neubauverpflichtungen (aus §6 VV; vgl. Kap. 1.5), aber auch zusätzliche Abgaben aus dem Schiffsbestand (von in den Nachkriegsjahren gebauten Fahrzeugen!).

An Frankreich wurden aus dem Bestand abgetreten:

3 Räderboote von rund 3400 PS, und zwar:
H. Paul Disch VI => CGNR Dunkerque
Math. Stinnes 3 (II) => CGNR Le Havre
Gebr. Dörtelmann II (III) => CGNR Rouen

2 Kanalschlepper von rund 400 PS:
Monopol 420 => Huningue 2 (SENR) => Huningue (CGNR)
Monopol 12 => Klingenthal (CGNR)

3 Kähne mit insgesamt 4050t
1 Kranschiff


An Belgien wurden abgetreten (siehe auch mein gesonderter Beitrag 07 in diesem Thread):

Jos. Schürmann 2 (I) => SFBR Epervier
8 Kähne mit insgesamt 10.450t


1.10) Neubauten als Reparationslieferungen gem. Staatsvertrag vom 15.04.1924:

Zusätzlich zu den früheren Abgaben aus Art. 357, §6 sowie beschlagnahmter und dann gem. Staatsvertrag dauerhaft abzugebender Schiffe waren zu Lasten Deutschlands neu zu bauen und abzuliefern:

Neubauten für Frankreich:

357 Penichen zu je 350 t
16 Rheinkähne zu je 1350 t
3 Radschlepper zu je 1275 PS (Bordeaux, Marseille, Nantes; alle CGNR)

Neubauten für Belgien:

70 Campine-Kähne zu je 600 t
6 Rheinkähne zu je 1000 t
1 Rheinkahn zu 1350 t
8 Motorkähne zu je 160 t
20 Motorkähne zu je 280 t
1 Schraubenschlepper zu 350 PS (Albatros)
3 Schraubenschlepper zu je 450 PS (Léopard, Lion, Tigre)
2 Radschlepper zu je 1275 PS (Condor, Panthère)

Die Angaben stammen vom "Reichskommissariat für Reparationslieferungen", Geschäftsstelle Duisburg (Abdruck in Napp-Zinn a.a.O.). Die Schiffsnamen wurden von mir ergänzt.

Aufgrund der Größe dieses Beitrages musste dieser in 2 Teilen ins Forum eingestellt werden.

Teil 2 über die Entstehung der frz. Reedereien nach 1919 folgt dann im gleichen Thread unter der Nummer 09.

Über Korrekturen, Ergänzungen und Hinweise würde ich mich freuen, damit dieses interessante Kapitel der Rheinschiffahrt sachlich und historisch möglichst korrekt für Alle zugänglich ist. Meine Kenntnisse sind nur Stückwerk. :fragkratz:

Beste Grüße von der Donau
Muranfan :wink:

kgvm
26.10.2018, 17:03
Super. Danke, muranfan.
Allerdings habe ich mir aus einem Artikel einer französischen Zeitung (La Navigation Interieure??) als Neulieferungen an Frankreich für 1922/23 notiert: 612 (oder 639?) péniches (280 t bei 1,80 Tiefgang), 12 campine-Kähne (600 t), 44 rhénans (1350 t) und 12 Schlepper.
Als Namen für die französischen Campine-Kähne habe ich Ampère, Arago, Carnot, Condorcet, Descartes, Foucault, Laplace, Lavoisier, Monge, Papin, Pascal und Pasteur
Grüße
Klaus Günther

Muranfan
28.10.2018, 17:13
Hallo Klaus-Günther,

die Tabelle unter 1.10 oben enthält nur die Neubauten gem. Staatsvertrag vom 15.04.1924, nicht die Gesamtzahl (mit Art. 357 und §6), daher sind über 600 Pénichen realistisch.
Habe leider keine Gesamtliste aller Abgaben und Neubauten. Vielleicht bekommen wir alle gemeinsam eine Komplettliste zusammen.

Grüße
Muranfan

Muranfan
28.10.2018, 17:20
Weitere Ergänzung:

Gemäß der Zeitschrift "Die freie Donau", Jahrgänge 1921 und 1922, wurden die deutschen Schiffe nicht durch Frankreich beschlagnahmt, sondern aufgrund Reichsgesetz von 1919 (Rechtsgrundlage für die Enteignung) durch den bereits genannten "Reichsausschuss zum Wiederaufbau der Handelsflotte".

Zu Beschlagnahmungen durch Frankreich kam es erst während der Ruhrbesetzung 1923.

Beste Grüße
Muranfan