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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Binnenschiff und Sturm



friederix
07.02.2020, 19:53
Hi in die Runde,

ich habe die SuFu genutzt und bin irgendwie nicht recht fündig geworden; auch die Wahl einer passenden Unterrubrik war nicht leicht.
Ich nehme mal diese, wenn das nicht richtig ist, bitte ich einen Mod, das Thema entsprechend zu verschieben.

Meine Frage ergibt sich aus der aktuellen Wettersituation:
Für Sonntag (09.02.2020) bis Montagabend sind ziemlich extreme Windverhältnisse angekündigt: Windgeschwindigkeiten in einzelnen Böen bis zu 120 km/h.

Was macht man da als Binnenschiffer? Kann man dann noch fahren?
Ich könnte mir vorstellen, dass es bei einem leeren 135m-Schiff ziemlich ungemütlich werden könnte.

Ich bin ja Laie und habe überhaupt keine Ahnung.
Besonders auf schmalen Kanälen stelle ich mir Begegnungen mit Seitenwind ziemlich schwierig vor.

Entschuldigt bitte, wenn das eine blöde Frage ist. :zweifel:

Liebe Grüße,
Fried

dojojo
08.02.2020, 01:47
Hallo,
ich finde die Frage interessant!

Gernot Menke
08.02.2020, 12:30
Ja, ich wundere mich auch, das nichts kommt. Im Forum ist hier und da das Thema schon mal angeklungen, aber ich will nicht gleich mit alten Zeiten und Schleppschiffen im Kanal beginnen, sondern wollte mal den heutigen Aktiven den Vortritt lassen.

Abgeladen dürfte Sturm im Hinblick auf die Wellenbildung ein Thema sein, z.B. im Ijsselmeer. Es ist aber auch schon mal ein Lahnschiff im Sturm untergegangen, das tief abgeladen und ohne Luken auf dem Rhein bei Neuwied zu tal unterwegs war und in ein Unwetter geriet.

Leer stellt sich mir die Frage nach der Wirkung des Bugstrahlruders, das dann eventuell nicht tief genug im Wasser liegt (?) und ja auch nur bei langsamer Fahrt Wirkung zeigen soll. Man sieht ja bei starkem Wind Schiffe diagonal fahren, um das Heck hinter den Kopf zu bringen. Aber das setzt entsprechenden Platz voraus.

Wie das jetzt mit den Containerschiffen ist, mit ihrer relativ geringen Eintauchung im Verhältnis zur großen Windangriffsfläche, das weiß ich nicht, aber ich kann mir vorstellen, daß es bei einem richtig heftigen Sturm von der Seite ganz einfach heißt: leggo Anker. Und was ist mit den Kabinenschiffen, heute ein ganz wichtiges Thema. Für die gilt doch dasselbe wie für die Containerschiffe.

Also, Praktiker vor! - Ich will mich auch mal ein bißchen umhören.

:wink: Gernot

mainschnickel
08.02.2020, 12:47
Hallo Gernot und andere
Ich habe mich gerade mit einem Kollegen über den angekündigten Sturm unterhalten. Wir fahren mit unserem fast voll abgeladenen 85 m er mit einem leeren Koppelverband. Für uns ist vom Fahren her das nicht so schlimm. Draussen (Mainzer Gegend) vor Anker liegen ist nicht so gut, wir wollen dann doch angebunden an eine höhere Mauer liegen damit da nichts wegfliegen kann durch den Sturm. Mit einem leeren Verband ist das fahren auf dem Main nicht schön, wenn es zu schlimm wird, fährt er wohl nicht. Vor allem wird er sein Lukendach (Alu friesische Kappe) zusätzlich sichern. Wir haben mit unseren schweren Pahl und Anderberg Dach, mit Sicherungshaken, da weniger zu befürchten. Im Rheingau bei Südwestwind kann auch ein grosser Wellengang laufen, was für offene , beladene Schiffe mit niedrige Dennebaum gefährlich werden kann. Aber die Gefahr ist eher größer im Küsten oder Niederrheinbereich.
Gruss Jozef

Norbert
08.02.2020, 15:22
Hallo Zusammen,

bei der Frage kommen Erinnerungen an die Fahrzeit in den 1970 / 80er Jahren. Mit den Booten MANNESMANN I und II (Antrieb 2 x 900 Ps) haben wir versucht so lange zu fahren wie es geht. Ich erinnere mich an eine Reise wo wir auf der Waal in Hurwenen bei Windstärke 8/9 (Böen bis 11) gestrandet sind.

Selbst später auf dem MANNESMANN IV mit 4 Leichtern und 3 x 1700 Ps war es bei starkem Wind sehr unangenehm. Wenn der Rhein genügend Wasser führte ging es unter Einsatz des Kopfruders Relativ gut, solange der Verband in Fahrt war, abstoppen war tödlich.

Damals sind bei extremen Windverhältnissen eigentlich alle großen Verbände (Krupp, Haniel, Veerhaven usw.) im Raum Dordrecht - Rotterdam, mit Vorspann gefahren. Ein leerer Viererschubverband hat eine seitliche Windangriffsfläche von 2000 m² das ist mehr als die GORCH FOCK an Segeln tragen kann.

Heute mit sechs leeren Leichtern ist das wahrscheinlich auch kein Zucker lecken.

Gruß Norbert

friederix
08.02.2020, 16:29
Hi zusammen,

dankeschön für Eure Antworten!

Hatte mir schon gedacht, dass 120 km/h Windgeschwindigkeit - also Orkanstärke - auch Einfluß auf ein Binnenschiff haben.
Mann kann so ein Schiff in Binnengewässern im Notfall ja nicht einfach in den Wind drehen.

Interessant finde ich, wie Norbert schrieb, dass ein Schubverband mehr Windangriffsfläche hat als die Gorch Fock.
Bin mal gespannt, wie das morgen wird.
Ich wünsche jedenfalls allen - auch zuhause - ein gutes Durchkommen.

Trotzdem ein hoffentlich schönes Wochenende,

wünscht Fried

Gernot Menke
08.02.2020, 16:46
Hallo Fried,

im engen Kanal - hier in Reims in Frankreich - geht leer bei Wind gar nichts ohne Bugruder! Hier der PATRIA aus Saarbrücken 1989 mit einem handbedienten Kopfruder, dem Bouteur. Das Kopfruder mußte vom Gangbord (oft auch vom Steuerhaus) aus mit Seilen bedient werden, um den Blick von hinten für die Einfahrt in die engen Fünfmeter-Schleusen zu haben. Ein tolles Foto, finde ich. (aufgenommen von Guy Mattignon)

Bei zuviel Wind heißt es leer - zumal früher in der Zeit der Schleppschiffahrt, Liegen bleiben.

:wink: Gernot

friederix
08.02.2020, 17:19
Hallo Gernot,

tolles Foto!

Ich habe nicht mal gewußt, dass es ein hand- seilbetriebenes Kopfruder überhaupt gibt.
Dieses Forum ist einfach nur genial.
Stundenlang kann ich hier lesen, es ist ein richtiger Zeiträuber.:smile1:

Das ist besser als Bücher* ... und da sage noch einer etwas gegen das Internet.

Liebe Grüße,
Fried

*natürlich habe ich auch viele Bücher zur Binnenschifffahrt
(komischerweise interessiert mich die Hochsee-Schifffahrt nur am Rande; keine Ahnung, warum)

Dampfmaschinist
08.02.2020, 17:53
..........

Norbert
08.02.2020, 18:11
Hallo Fried,

bei Mannesmann wurden die Kopfruder zunächst per Hand betrieben, das hieß einer von der Besatzung stand vorne. Dann wurde auf E-Antrieb umgestellt das hieß vor jeder Talfahrt Kabel ziehen. Im Gegensatz zu den mit Druckluft betriebenen Anlagen bei anderen Reedereien, konnte der E-Antrieb ausgekuppelt werden, sodass die Anlage immer noch von Hand zu bedienen waren.

Durch die Kopfruder, auch wenn diese nicht aktiv genutzt wurden, lagen die Verbände stabil. Die leeren leichter haben am schrägen Ende nur 0,80 m Tief.

Gruß Norbert

friederix
08.02.2020, 18:47
Danke Norbert,

wieder was gelernt.
Immer wieder erstaunlich, was sich der Mensch so alles ausdenkt.

Wenn man dann überlegt, dass noch vor gut einem Menschenalter sich die Holländerflöße mit mit knapp einem halben Kilometer Länge den Rhein herab geschoben haben, ist man nur noch fasziert.

... und stellt sich zugleich die Frage: Würden das die heute lebenden Menschen auch noch hinkriegen?

Sorry, war ot, aber den Gedanken konnte ich nicht abwürgen.:rolleyes1:

Liebe Grüße und ein schönes WE,

Fried