Die Kettendampfer der kgl. bayerischen Kettenschleppschiffahrt
auf dem oberen Main.
Von Eduard Weiß, Generaldirektionsrat, Vorstand der IV. Abt. der Generaldirektion der kgl. bayerischen Staatseisenbahnen.
(hierzu Tafel XIII)
(erschienen in Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure Nr. 17, 1901, Seiten 578-584)
Die zunehmende Wichtigkeit der Binnenschiffahrt in Deutschland lässt es erklärlich erscheinen, dass diesem Zweige des Transportwesens erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet wird, und dass die Regierungen auf die Verbesserung der Schiffahrtverhältnisse erhebliche Summen verwenden. So wurden bereits im Jahre 1894 vom bayerischen Landtage für die Verbesserung des Fahrwassers auf der 109,2 km langen Main-Strecke von Kitzingen bis Aschaffënburg 4 000000 M und für die Einrichtung der Kettenschleppschiffahrt auf dieser Strecke 2 777 000 M bewilligt. Diese Arbeiten sind nahezu zum Abschlusse gelangt, und es verkehren bereits 5 staatliche Kettendampfer auf dem Main.
Bevor man sich über die Bauart der zu verwendenden Kettenschleppschiffe schlüssig machte, wurde von der bayerischen Staatsregierung eine Abordnung zum Studium der Kettenschleppschiffahrt abgesandt, um die hauptsächlichsten Schiffsarten, und zwar solche mit:
- Trommelwindwerk auf dem Main und der Elbe,
- Greifradvorrichtung auf der Elbe und
- elektromagnetischer Trommel auf der unteren Seine bei Paris,
im Betriebe zu beobachten. Nach dem Gutachten des Ausschusses entschied man sich für die Greifradschiffe mit
Turbinenpropeller [1], wie sie von der deutschen Elbschiffahrts-Gesellschaft »Kette« gebaut sind und auf der Elbe in Verwendung stehen,
Maßgebend war, dass die Kette durch die zwangläufige Greifvorrichtung weniger abgenutzt wird, und dass das Auflaufen der Kette unter Drall, ja selbst in Knoten, ohne Nachteil; für diese und das Windwerk ist. Sodann ermöglichen die in den Schiffskörper eingebauten Rückstrahlturbinen bei der Thalfahrt eine sichere und schnelle Eigenbewegung des Schiffes bei abgeworfener Kette in der verhältnismäßig geringen mittleren Wassertiefe von 68 bis 70 cm, bei der weder Schrauben noch Schaufelräder angewendet werden können. Schließlich kann mit den Turbinen die Steuerung des
an der Kette gehenden Schiffes in der Bergfahrt kräftig unterstützt werden, was bei den vielen und scharfen Windungen des Mains besonders zu berücksichtigen war.
Im Nachstehenden ist der von der Schiffswerft der Deutschen Elbschiffahrts Gesellschaft »Kette« in
Uebigau bei Dresden. entworfene und gebaute Kettendampfer V beschrieben; vergl. Tafel XIII,
Hauptabmessungen:
Länge über Deck 50 m
» in der Wasserlinie 46 m
größte äußere Breite 7,40 m
» Breite auf Spanten 6,40 m
» Höhe an der Seite 2,22 m
» » mittschiffs bis Oberkante Deckbalken 2,40 m
» feste Höhe über Wasser 3,80 m
Tiefgang des betriebsfertig ausgerüsteten,
mit 1500 kg Kohlen versehenen Schiffes 0,56 m
Völligkeitsgrad des Hauptspants 1,00
» der obersten Schwimmfläche 0,93
» » Verdrängung 0,892
Verdrängung 147 cbm.
Das Aussehen des Schiffes ist insofern eigenartig, als es in der Mitte am höchsten ist und nach den Enden zu stark abfällt, damit der durch das Heben der Schleppkette entstehende Arbeitsverlust möglichst gering wird. Das Mittelschiff ist mit scharfer, Vor- und Hinterschiff dagegen mit runder Kimm ausgeführt.
Das Material des Schiffsrumpfes ist bester weicher Siemens-Martin-Stahl, dessen Zerreißfestigkeit längs und quer zur Faserrichtung 41 bis 49 kg/qmm und dessen Bruchdehnung auf eine Länge von 200 mm mindestens 20 vH betragen musste. Die Spantenentfernung ist sehr verschieden; sie beträgt im Maschinen- und Turbinenraum 450 bis 600 mm, im Kesselraum und den Kajüträumen 600 mm und an den Schiffsenden 500 mm. An jedem Spant ist ein Deckbalken angebracht; davon ist etwa jeder vierte Balken aus Z-Eisen gefertigt, die übrigen aus Winkeleisen. Zur Versteifung des Bodens sowie des Decks sind je zwei über die ganze Schiffslänge laufende Kielschweine und Längsdeckträger eingebaut, die durch kräftige Deckstützen fest mit einander verbunden sind. Die Bordwände sind auf jeder Seite durch Bleche und Winkel verstärkt; weiter ist auf 25,3 m Länge im Mittelschiff in 1100 mm Höhe über dem Boden ein mit dem Bord vernieteter Seitenstringer eingebaut.
Das Schiff wird durch 6 wasserdichte Schottwände in 7 Abteilungen zerlegt. Neben dem Kessel sind 2 Kohlenräume mit eisernen Wänden von 15 cbm Inhalt vorhanden. Die Außenhaut ist im Boden vor und in dem Maschinenraume 5,5 mm, sonst 5 mm dick, in den Borden vorn sowie im
Unterbord- und im Schergang 5 mm, dagegen im übrigen Schiff 4,5 mm dick. Im geraden Mittelschiff ist ein Kimmwinkel eingebaut und an der unteren Bordkante eine Scheuerleiste aus Halbrundeisen angebracht. Die Längs- und Quernähte der Außenhaut sind überlappt genietet, und
zwar erstere mit einfacher, letztere mit doppelter Nietung. Der Deckstringer besteht aus Blech.
An den Schiffsenden und unter der Kettenrinne wird das Deck aus Blech, im Übrigen aus ast. und splintfreiem Föhrenholz gebildet. Auf jeder Schiffseite sind 2 Scheuerleisten aus Föhrenholz angebracht; ferner sind die unter Wasser befindlichen Kontraktor-Ausflüsse und die über Wasser liegenden, zum
Turbinenpropeller gehörenden eisernen Rückstrahlrinnen durch kräftige Abhalter aus Eisen und Holz vor Beschädigungen geschützt. Eine Reling aus eisernen Stützen und hölzernen Leisten ist an den Längsseiten des Schiffes vorgesehen.
Die Steuereinrichtung des Kettendampfers ist besonders bemerkenswert. Die Steuerfähigkeit wird
nämlich beim Schleppen durch die Kette eingeschränkt; da sie aber gerade dann besonders groß sein muss, so ist sowohl vorn als auch hinten ein unverhältnismäßig großes Ruder von 4,7 m Länge angebracht. Jedes der beiden Ruder wird für sich von den mittschiffs auf einer Steuerbrücke befindlichen Handrädern mittels Zahnräder, Gelenkkupplung, fester Wellen, Ketten und Quadranten bewegt.
Die Schleppkette wird auf Rollen über das Schiff geführt; die aus Stahlguss oder Hartguss hergestellten Leitrollen sind in drehbaren Auslegern an den Schiffsenden, weiter an besonderen Böcken und endlich in der aus Blech und Winkeln gefertigten Kettenrinne gelagert. Da die Lenkbarkeit des Dampfers mit der Länge des vorderen Auslegers zunimmt, so ist diese zu 8 m angenommen. Die Länge des hinteren Auslegers beträgt 5 m. Beide Ausleger sind mit einer Kettenfangvorrichtung vorsehen, deren vordere auch von der Steuer- und Schiffsführerbrücke aus bedient werden kann. An dem hinteren Ausleger ist eine Handwinde angebracht, wodurch man ihn während des Schleppens nach Bedarf hart nach Steuerbord oder Backbord legen kann, damit die vom Dampfer ablaufende Schleppkette in starken Flusskrümmungen wieder möglichst in die Fahrrinne gebracht wird.
Der Kajütausbau besteht durchweg aus Föhrenholz. Die Kajüten für die Direktion und für den Kapitän haben geschmackvoll getäfelte, die übrigen Wohnräume gestäbte Wände. Alle Kajüträume sind mit Oelfarbe hell gestrichen und lackirt; die Decken sind weiß gestrichen und lackirt. Die Eingänge zu den Kajüten und dem Maschinenraume haben eiserne Hauben, Thüren aus Eichenholz, ein Fenster in der Rückwand und messingene Beschläge; die Treppen bestehen aus Eichenholz mit Messingtrittleisten. Für gute Tagesbeleuchtung und Lüftung sämtlicher Schiffsräume ist durch eine genügende Anzahl von Seitenfenstern, Oberlichte, Grätings und Windhauben bestens gesorgt. Um dem Schiffe ein gefälligeres Aussehen zu geben, sind diese Teile vielfach aus blank polirtem Messing oder Kupfer hergestellt.
Auf dem Deck sowohl des Vor- als auch des Hinterschiffes ist je eine Ankerwinde mit doppeltem Vorgelege nebst einem hohen Ankerkran aufgestellt. Weiter befindet sich auf dem Vorschiff ein Such-Ankerkran, mittels dessen bei gleichzeitiger Benutzung der Turbinen die Schleppkette bequem gesucht werden kann. Zur Führung und Befestigung der Schlepptrossen für das Bergwärtsschleppen dienen auf jeder Bordseite über dem Kessel- und Maschinenraume eine große eiserne Rolle und 2 eiserne Blöcke mit je 3 Scheiben; außerdem ist am Hinterschiff je eine hohe hölzerne Abhalterrolle angebracht. Beim Thalwärtsschleppen werden die Turbinen durch einen auf dem Deck des Hinterschiffes stehende Schleppvorrichtung unterstützt.
Der Dampfer hat zwei von einander unabhängige Vorrichtungen zur Fortbewegung: zur Bergfahrt die Kette in Verbindung mit der Greifvorrichtung, Bauart Bellingrath, (D. R.-P. Nr. 67813), zur Thalfahrt 2
Turbinenpropeller, Bauart Zeuner, D. R.-P. Nr. 67650). Obwohl die Möglichkeit bestand, mit nur einer Betriebsmaschine auszukommen, wurde doch jeder Propeller mit einer besonderen Dampfmaschine versehen und die Anordnung so gewählt, dass die Turbinen in
kürzester Zeit anlaufen können, sobald bei der Bergfahrt eine Störung an der Kette eintreten sollte.
Die drei Dampfmaschinen erhalten Dampf von einem einzigen Kessel, und ihr Abdampf wird einem Einspritzkondensator zugeführt, der in Verbindung mit einer Dampfluftpumpe steht, welche auch bei Stillstand sämtlicher Maschinen in Thätigkeit bleibt. Wie Tafel XIII, Fig. 1 und 2, zeigt, sind die drei mittleren Schiffsräume zur Aufnahme der Maschinenanlage bestimmt. Im vorderen Raume liegt der Kessel nebst Kohlenbunkern und zugehörenden Geräten, im mittleren die Greifvorrichtung mit Windwerk und Betriebsmaschine, die Betriebsmaschine für die Turbinen und die Kondensationsanlage, im hinteren Raume endlich die Turbinen nebst Zubehör.
Die Kette wird durch den am Vorschiff befindlichen drehbaren Ausleger, senkrechte Leitrollen und wagerechte Tragrollen in die Längsmittelebene des Schiffes geleitet und durch senkrechte Rollen und den hinteren Ausleger wieder abgeleitet. In dieser Ebene ist die Trommel der Greifvorrichtung aufgestellt. Die Konstruktion der letzteren ist bereits in dieser Zeitschrift [2] beschrieben; in Fig. 3 und 4, Taf. XIII, ist deshalb nur die Verbindung mit dem Windwerk dargestellt. Die aus der vorderen Kettenrinne laufende Kette wird durch die Auflaufrolle a abgelenkt, umspannt den oberen Teil der Kettentrommel b und wird durch die Auflaufrolle c der hinteren Kettenrinne zugeführt. Da die Auflaufrolle einer Belastung ausgesetzt ist, die der 1 1/4 fachen Zugspannung der Kette entspricht, und da außerdem starke Schwankungen in der Zugkraft unvermeidlich sind, so sind
die Lager der die Auflaufrolle tragenden Achse durch federnde Zugstangen d mit dem Schiff verbunden.
Die Trommel, auf deren oberem Teil die Kette durch die Finger gehalten wird, ist auf einer aus Stahl geschmiedeten Achse befestigt, die in einem aus Stahlguss gefertigten Gestell e zu beiden Seiten der Trommel gelagert ist. Das Gestell ist durch eingebaute Träger mit dem Boden und dem
Deck des Schiffes verbunden, sodass die am Umfang der Trommel auftretende Zugkraft in der Kette durch die Lager der Achse und das Gestell auf das Schiff übertragen wird.
Mit dem Gestell sind halbkreisförmige Seitenwände f aus Gusseisen verschraubt, die auf beiden Seiten parallel zur Trommel liegen; unter einander sind sie durch Stehbolzen und Kreuzstreben verbunden, wodurch einerseits das Gestell versteift wird, anderseits Gelegenheit gegeben ist, die
Bahnen zum Eindrücken und Herausziehen der Finger zu befestigen,
Während die Greifvorrichtung über Deck zu beiden Seiten durch Blechhauben wetterfest abgedichtet ist, ist im Maschinenraume der vor und hinter dem Gestell liegende Raum durch Holzwände zu Kettenkasten ausgebildet, deren Boden mit hartem Holz ausgepflastert ist. Der vordere Kettenkasten g ist vorgesehen, um auch die Thalfahrt an der Kette zu ermöglichen; in dem hinteren Kettenkasten h findet bei der Bergfahrt die frei herabhängende Kette Platz, und er bietet auch Raum für eine größere Kettenlänge, die sich der Flusskrümmungen wegen zeitweise ansammeln kann.
Die Umfangsgeschwindigkeit der Kettentrommel entspricht der Schiffsgeschwindigkeit, die bei gewöhnlichem Betriebe zwischen 1,1 und 1,6 m/sk schwankt; die Trommel wird durch ein von der Dampfmaschine angetriebenes Windwerk mit einer Uebersetzung von 1:10 gedreht. Die zur Verwendung gekommenen Stahlgusszahnräder sind auf der verlängerten Maschinenkurbelwelle i, einer Zwischenwelle k und der Trommelachse befestigt; alle Achsen sind in Rotgussschalen im Gestell gelagert. Auf der verlängerten Kurbelwelle ist eine gusseiserne Bremsscheibe l befestigt, an die mittels Schraubenspindel und Stahlgusshebel hölzerne Bremsbacken gepresst werden. Die Spindel wird durch Handrad, Wellen und Räder vom Stande des Schiffsführers aus angetrieben. Die Anordnung der Bremsbacken nebst Antrieb zeigen Textfig. 1 und 2. Durch diese Bremse wird die Greifvorrichtung dermaßen festgelegt, dass der Kettendampfer nebst Anhang ohne Auswerfen von Ankern an jeder Stelle des Stromes außer Thätigkeit treten kann. Ferner kann bei besonderen Vorfällen die Maschine von Deck aus gebremst werden.
Als Dampfmaschine für den Betrieb an der Kette wurde gemäß den Raumverhältnissen und der Bedingung, dass die Maschine gleichmäßig aus jeder Kurbelstellung angehen solle, eine liegende Zwillings-Tandemmaschine gewählt, Textfig. 3 bis 7.
Die Hauptabmessungen sind:
Durchmesser der Hochdruckcylinder 180 mm
Durchmesser der Niederdruckcylinder 330 mm
gemeinsamer Kolbenhub 400 mm
Auf zwei mit dem Schiffsboden und unter einander gut verbundenen genieteten Blechträgern sind Lagerbock, Geradführungen und Cylinder verschraubt. Diese aus Gusseisen hergestellten Teile sind durch stählerne Zugstangen mit einander verbunden, die in einer durch die Kolbenstangen gehenden Ebene so angeordnet sind, dass der Schiffsboden vornehmlich zur Aufnahme des Maschinengewichtes dient, Kolbenkraft und Kreuzkopfdruck also nur die Maschinenteile beanspruchen. Die gusseisernen, mit Schleifringen aus demselben Stoff und Stahlflachfedern versehenen Kolben sind auf den stählernen Kolbenstangen mit Kegel und Mutter befestigt; in gleicher Weise sind die Kolbenstangen mit den Kreuzköpfen verbunden. Die aus einem Stück mit den Zapfen geschmiedeten Kreuzköpfe sind mit metallenen Gleitplatten versehen, von denen die unteren bei Vorwärtsgang auf den gusseisernen Geradführungen, die oberen bei Rückwärtsgang auf den aufgeschraubten geschmiedeten Führungsschienen gleiten. Die Pleuelstangen haben geschmiedete Schäfte und je drei Lager aus Rotguss in der bei Schiffsdampfmaschinen üblichen Ausführung. Die in einem Stück aus Stahl geschmiedete, in 3 Lagern ruhende Kurbelwelle ist an einer Seite mit angeschmiedetem Kupplungsflansch zum Antrieb des Windwerkes vorsehen. Die beiden Kurbeln bilden einen Winkel von 90°. Durch einseitige Gewichte in der Schwungscheibe, der Bremsscheibe und dem Triebrade sind die hin- und hergehenden Massen ausbalanzirt.
Die Maschine hat Klugsche Steuerung und Flachschieber, deren Anordnung dem Ueblichen entspricht. Da die Maschine beim Anfahren unter Last mit großer Füllung (rd. 78 vH), im Beharrungszustande mit kleinerer Füllung (rd. 50 vH) arbeiten muss, und zwar für beide Drehrichtungen der Welle, so ist für bequeme Handhabung der Umsteuerung gesorgt. Zu diesem Zwecke wird ein Umsteuerrahmen aus Stahlguss, in welchem die Zapfen für die Schwingen befestigt sind, durch ein Handrad und eine senkrechte Schraubenspindel verstellt.