DER SEELENVERKÄUFER

Aus der Feder von und in Gedenken an den ehemaligen Fremdenlegionär Helmut Plitzer,verstorben im Februar 2005

1. Kapitel

Oktober 1961, es ist kalt, Nebel schwebt über den Landungsbrücken.

Ich betrete den Heuerstall, der auf dem Berg gegenüber den Landungsbrücken liegt. In dem großen Wartesaal vor den Klappen der Heuerbaase sitzen nur wenige Gestalten, einige schlafen, haben wohl die Nacht auf St. Pauli verbracht. Zigarettenqualm schwebt im Raum. Ich setze mich auf eine Bank und warte. An der Wand mir gegenüber befinden sich drei Schiebefenster mit Milchglasscheiben, dahinter sitzen die Heuerbaase, die den Seeleuten ein Schiff vermitteln.

Gestern war ich bei der Seeberufsgenossenschaft beim Arzt, meine Gesundheitskarte war abgelaufen; alle zwei Jahre braucht ein Seemann eine neue Karte von der SBG, sonst bekommt er kein Schiff. Warum sind in der Wand drei Fenster? fragen mich jetzt die Leser, ja, weil es an Bord drei Berufsgruppen gibt. Die 1. Gruppe ist das Deckspersonal, vom Moses bis zum Bootsmann, 2. Gruppe Maschinenpersonal, vom Maschinenjungen bis zum Storekeeper, 3. Gruppe, Küchen- und Bedienungspersonal, vom Messe- und Kochsjungen bis zum Chefkoch und Chefsteward. So ist das, kapiert?

Es ist verdammt ruhig hier heute, man hört kein Telefon klingeln, das ist kein gutes Zeichen. Wenn das Telefon klingelt, ist es eine Reederei, die Personal für ihre Schiffe sucht. Der Seemann, der sein Schiff verlassen will, das nennt man Abmustern, muss 48 Stunden vor Einlauf des Schiffes in den Heimathafen kündigen, der Funker an Bord meldet es dann sofort der Reederei, und die gibt es dann an den Heuerstall weiter, dass sie Personal für ihr Schiff braucht. So werden Liegezeiten vermieden, denn jeder Tag im Hafen kostet viel Geld. Heute für ein 80.000 Tonnen Containerschiff so ungefähr 30 -40 Tausend Euro pro Tag.

Also warte ich, dann brummt der Lautsprecher im Raum, ein Leichtmatrose wird gesucht, Große Fahrt. Ich stehe auf und gehe zum Schalter und stelle mich dort auf, das Seefahrtsbuch in der Hand, voller Erwartung. Die anderen Gestalten rühren sich nicht. Hinter der Klappe ein Rumoren, und dann wird das Fenster zu Seite geschoben, und wer erscheint? Max. Max ist der Heuerbaas für das Deckspersonal, ein Schlitzohr sondergleichen, er entscheidet für Monate dein Wohlergehen, denn er vermittelt dich an Bord. Max ist über 30 Jahre im Geschäft und soll auch schon mal ein blaues Auge eingefangen haben, weil er einen Sailor auf den falschen Dampfer geschickt hat. Er schaut mich an, nimmt mein Seefahrtsbuch, schiebt das Fenster wieder zu und lässt mich warten.

Nach 10 Minuten ist er wieder da, du kannst einsteigen, sagt er zu mir, du musst aber nach Rotterdam, dort liegt der Dampfer, du musst heute noch fahren. Wo es hingeht, will ich wissen; nach Südamerika, murmelt er nur, willst du? Ich nicke. Er schiebt das Fenster wieder zu.

Toll denke ich, Südamerika warst du noch nicht. Ich denke an Rio und die schönen Mädchen dort, ich bin 17 Jahre alt, da ist das doch verständlich, oder? Ich muss an meine Oma denken, ich bin ja erst vor 14 Tagen wiedergekommen, aus Afrika, 9 Monate war ich weg gewesen und nun will ich schon wieder weg. Opa wird es freuen, er sagt immer, laß dir den Wind um die Nase wehen, Junge. Die Klappe geht wieder auf und Max gibt mir mein Seefahrtsbuch und einen Zettel fürs Reisebüro von Hapag, das ist direkt in den Landungsbrücken. Hier soll ich mir die Fahrkarte nach Rotterdam holen, die bezahlt ja die Reederei. Als ich gehe, grinst er mich so blöde an, na, denke ich, wenn das man gut geht, ich hatte viele Geschichten von Max gehört an Bord, jeder Seemann kannte eine Story. Ich schaue ins Seefahrtsbuch, Reederei Frigga, Erzfrachter, 6000 Tonnen. Ba, das ist doch was, denke ich und mache mich auf den Weg zum Reisebüro.

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2. Kapitel

Als ich da noch so vor dem Heuerstall stehe und mein Seefahrtsbuch in den Mantel stecke, kommt ein blonder junger Mann auf mich zu, na auch nach Rotterdam? fragt er mich, wieso, du auch ? Ja, meint er, als Messesteward auch auf die "Baldur", so hieß das Schiff der Reederei Frigga, deren Schiffe hatten alle Namen von nordischen Göttern. Wir gehen zusammen zum Reisebüro an den Landungsbrücken, sind ja nur fünf Minuten dorthin. Unterwegs erzählt mir Otto, so heißt er, daß er 19 Jahre alt ist und schon 4 Jahre zur See fährt, er wohnt in Hamburg - Barmbek. Ein Messesteward bedient die Offiziere, Ing's, Assis, und den Elektriker an Bord, er serviert ihnen das Essen und ist für die Reinigung der Kammern zuständig, meistens hat er noch einen Messejungen zur Hilfe, also einen Lehrling, der auch einmal Steward werden will. Bei der Frachtschifffahrt kann der Messesteward dann noch zum Salonsteward aufsteigen. Dann bedient er nur den Kapitän, den 1.Offizier und den Chief, den 1.Ing., manchmal auch noch ein paar Passagiere, die eine Reise auf einem Frachter machen, dann hat er noch einen Salonjungen zur Hilfe. So, das war eine Lektion in der Bordhierachie.

Im Reisebüro von Hapag bekommen wir unsere Fahrkarten, nachts um 1.00 Uhr soll der Zug nach Rotterdam gehen. An den Landungsbrücken gehen wir noch ein paar Bier trinken und unterhalten uns ein wenig über unsere bisherigen Reisen. Es wird Zeit, ich muss ja noch nach Harburg, wir fahren mit der Bahn gemeinsam zum Hauptbahnhof und verabreden uns für 0.30 Uhr auf Gleis 10, von hier soll unser Zug nach Rotterdam gehen.

Mit gemischten Gefühlen fahre ich nach Hause, was Oma wohl sagt? Ich bin ja ihr einziger Enkel und der fuhr auch noch zur See, so hatte ich mich ihren Klammergriff entzogen. Meiner Mutter war das egal, Oma hatte nach meiner Geburt das Regiment an sich gerissen, mein Vater war aus dem Krieg nicht zu uns nach Hause zurück gekehrt, meine Mutter ging Arbeiten und Oma übernahm meine Aufzucht. Meine Mutter war mehr eine große Schwester für mich, sie konnte sich nie der Dominanz ihrer Mutter erwehren, erst nach ihrem Tod hatten wir ein besseres Verhältnis.

Zu Hause angekommen fällt Oma aus allen Wolken, ihr "Goldi", so nennt sie mich immer, will sie schon wieder verlassen, ich verziehe mich in mein Zimmer, um den Seesack zu packen. Mein Opa ist seit einem Jahr Rentner, er hatte 50 Jahre im Hamburger Hafen gearbeitet, er kennt jede Reederei und auch fast jedes Schiff. Die "Baldur" kennt er nicht, denn Erzfrachter kommen nicht nach Hamburg, wozu auch, Hamburg hat kein Stahlwerk, das Erz geht meistens nach Rotterdam und wird dort auf Binnenschiffe oder Güterwagen umgeladen und geht dann von dort ins Ruhrgebiet zu den Stahlkochern.

Oma knurrt vor sich hin, kommt aber mit meiner frisch gewaschenen Wäsche und legt sie aufs Bett, dabei sieht sie mich immer an und schluchzt. Ich muss innerlich lachen, sie zieht diese Show jedes Mal ab mit mir. Der Seesack ist schnell gepackt, Wäsche, alte Arbeitsjeans, Pullover, Socken, Badehosen, die sind wichtig. Freizeithemden und Jeans, die Jeans habe ich mir von der letzten Reise mitgebracht, auch aus Rotterdam, von einem Schiffshändler, 10 Gulden das Stück, zollfrei natürlich, echte Levis, meine Freunde in Harburg beneiden mich darum, hier sind si

e sauteuer. Waschzeug noch und fertig.

Nun kommt die Henkersmahlzeit mit Oma, es gibt Grünkohl, den ersten in diesem Jahr, wir hatten früh den ersten Frost. Natürlich erzähle ich ihr nicht, dass mein Schiff nie nach Hamburg kommt, aber es ahnt auch niemand, dass wir uns schon in 5 Wochen wiedersehen werden. Um 20.00 Uhr halte ich es nicht mehr aus, ich habe nicht erzählt, wann der Zug fährt, und so flunkere ich ein bisschen und verabschiede mich von den meinen und ziehe, den Seesack über die Schulter, Richtung Bahnhof Harburg.

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3. Kapitel

Gott sei Dank ist der Weg nicht weit, ca. 10 Minuten. Damals fährt noch keine S-Bahn nach Hamburg, und ich muss in einen Personenzug steigen, um zum Hamburger Hauptbahnhof zu kommen. Die Fahrt dauert knapp 20 Minuten, dann bin ich am Ziel, Mensch, denke ich, noch viel Zeit, was tun? Ich gebe den Seesack zur Aufbewahrung und gehe ins AKI-Kino, ist direkt am Bahnhof, man bezahlt einmal und kann so lange drinnen bleiben wie man will, Filme und Wochenschau rund um die Uhr. So vergeht die Zeit und um 0.00 Uhr verlasse ich das Kino, hole den Seesack und gehe zum Bahnsteig.

Otto ist schon da, er hat seine Eltern mitgebracht, er stellt mich vor und gemeinsam warten wir auf unseren Zug. Mensch, ist der Bahnsteig voll, wollen die alle nach Rotterdam? Man gut, dass wir Platzkarten haben. 2. Klasse Raucher, Wagennummer 379. Da sehe ich, dass der Zug zum Hoek van Holland geht, von hier geht die Fähre nach England, deshalb sind so viel Menschen hier, die wollen nach England.

Der Zug ist pünktlich und wir steigen ein, zwei Fensterplätze, das ist gut, obwohl man ja Nachts nichts sieht, aber wegen der frischen Luft. Der Zug fährt ab und los geht es Richtung Rotterdam. Die Fahrt selber ist ereignislos, morgens gehen wir zum Frühstücken in den Speisewagen, und um 9.00 Uhr kommen wir in Rotterdam an. Mit dem Taxi fahren wir zum Hafen, dem größten Europas, wir haben von Max die Adresse vom Schiffsagenten bekommen, das ist so üblich, dort sollen wir uns melden und er wird uns dann zum Schiff bringen. Der Agent ist ein netter alter Herr, er schickt einen jungen Mann raus, der die Taxe für uns bezahlen muss, ging ja auf Kosten der Reederei.

Er bietet uns Kaffee an, denn wir müssen noch eine Stunde warten, er will mit an Bord. Das Schiff liegt nicht am Kai, sondern schon in der Mitte des Hafenbeckens an den Pfählen, sagt er uns, der Dampfer ist gelöscht und soll am Mittag auslaufen, nach Brasilien, aber nicht nach Rio, sondern nach Viktoria, ein ganz kleiner Erzhafen irgendwo fern ab von Rio.

Endlich ist es soweit, wir steigen in seinen Wagen und los geht die Fahrt zum Hafenbecken. 20 Minuten dauert die Fahrt, dann erreichen wir unser Ziel. Am Kai liegt eine Barkasse, die soll uns an Bord bringen. Wir steigen mit unseren Seesäcken ein und legen von der Pier ab. Die "Baldur" liegt mitten im Hafenbecken, jetzt wo sie leer ist, wirkt sie besonders groß. Je näher wir dem Schiff kommen, umso größer wird es. Es sieht imposant aus, ist gut in Farbe. Eine Gangway hängt außen Bords und hier legt der Barkassenschipper an. Wir schnappen unsere Seesäcke und gehen an Bord, ich habe ein komisches Gefühl und Otto sieht auch nicht gerade glücklich aus. Warum sollen wir bald erfahren.

Da stehen wir nun unten auf der Gangway, ziemlich steil das Ganze, denke ich so. Plötzlich erscheint oben auf der Gangway ein Kind, ein Kind mit einer schwarzen Hose und einem weißem Hemd bekleidet. Kinder an Bord? Wo gibt es denn so etwas, außer der "Alte" hat seine Familie an Bord, das passiert manchmal. Otto schwingt seinen Seesack auf den Buckel, ich tue es ihm nach und rauf gehts den steilen Weg an Bord. Den Agenten haben wir in die Mitte genommen, falls er ins Stolpern kommt, könnten wir ihn noch auffangen. Otto kommt oben an, er dreht sich nach uns um, dabei bekommt das "Kind" seinen Seesack an den Kopf und fliegt in die Ecke. Als ich oben ankomme, rappelt es sich gerade wieder auf und dann sehe ich das "Kind", es ist ein Liliputaner und er ist, wie sich später herausstellt, der Chefsteward an Bord.

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4. Kapitel

Otto und ich sehen uns vielleicht blöde an. Das habe ich noch nie gesehen, diese bedauernswerten Menschen kannte ich bisher nur aus dem Zirkus, aber bei der christlichen Seefahrt? Unvorstellbar aber wahr. Geert, so heißt der Knabe, ist auch wohl der einzige seiner Art bei der Seefahrt. Das Dumme ist nur, er ist Ottos Chef an Bord und er sieht nach dem Stoß, den er mit Ottos Seesack erhalten hat, gar nicht glücklich aus. Er zischt Otto ein paar "freundliche" Worte zu und dann verschwinden die beiden im Schiff.

Mich nimmt der Bootsmann in Empfang und schickt mich nach Achtern, wo unsere Kabinen liegen. Der Decksmoses zeigt mir meine Kabine, ich habe die unterste Koje, ein Jungmann schläft über mir. Auf der Koje befindet sich nur eine Matratze, ein Kopfkeil und zwei Wolldecken. Ich frage ihn nach Bettwäsche und er schüttelt zu meiner Verwunderung seinen Kopf, gibt es nicht, hättest du mitbringen müssen. Ich bin total perplex, so etwas habe ich bei der Seefahrt noch nicht erlebt, keine Bettwäsche, auf dem Heuerstall hatte man uns nichts gesagt und nun stehe ich ohne da. Was nun?

Otto muss Abhilfe schaffen, er ist ja schließlich Messesteward, die Offiziere würden ja wohl bezogene Betten haben, mal sehen. Ich räume meinen Spind ein und ziehe gleich meine Arbeitsklamotten an. Nachher soll ich zum "Alten" kommen, er würde mich an Bord begrüßen und mir die üblichen Verhaltensmaßregeln erklären. Gleich ist Mittag, mal sehen wie der Koch ist, mit ihm steigt und fällt die Moral an Bord. Der Moses zeigt mir alles, Dusche, Toilette, einen Raum mit einem Ungetüm von Waschmaschine, wo man seine Wäsche waschen kann. Kannte ich auch nicht, auf meinen anderen Schiffen gab es Max den Wäscher. Max war immer ein Hongkong-Chinese, der für die gesamte Wäsche an Bord zuständig war. Er wusch und bügelte für jeden, dafür wurden einem dann ein paar Mark von der Heuer abgezogen.

Ich frage den Moses dann nach dem Einkaufstag an Bord, man füllt zweimal die Woche einen Zettel aus, was man begehrt, Zigaretten, Schnaps, Rasierwasser, alle Toilettenartikel, und übergibt sie dann dem Steward. Am Abend kann man seine Sachen abholen. Getränke kann man immer beim Steward holen, Bier, Cola, Brause u.s.w. Er schreibt alles in ein Buch, und am Ende der Reise, wenn die Heuer ausbezahlt wird, dann geht man zum Steward und bezahlt, der setzt dann seine Unterschrift, dass du bezahlt hast, unter einen Laufzettel, und dann bekommst du erst dein Seefahrtsbuch und kannst von Bord gehen, vorher nicht.

Ist ja auch nicht mehr als Recht, oder? Aber es ist alles billig, denn die Waren sind ja alle zollfrei. Damals eine Stange Ami-Zigaretten 4 DM, eine Flasche Whiskey, 1 Liter, 3 DM. Eine Schachtel Bier, 24 Flaschen, 3 DM, also alles sehr preiswert. Aber hier auf der Baldur ist alles anders, hier macht der Kapitän den Verkauf, außer Getränke, das ist ja ein Hammer, das habe ich noch nie erlebt. Dann erfahre ich, dass der Einkauf auch nur einmal die Woche stattfindet und der Steward die Order hat, pro Mann nur zwei Flaschen Bier am Tag, was soll das denn? Warum das so ist, soll ich noch erfahren.

Dann noch ein Schock, Otto und ich sind die einzigen Hamburger an Bord, die gesamte Besatzung besteht aus Ostfriesen, waschechten Ostfriesen, vom Kapitän bis zum Moses. Was das bedeutet, soll ich noch schmerzlich erfahren. Die Ostfriesen unter euch mögen es mir verzeihen, aber es ist die Hölle. Ich tanze also beim Alten an, höre mir das ganze Theater an und nehme gleich die Gelegenheit zum Einkauf wahr; weil ich neu an Bord bin, macht er eine Ausnahme. Mit 2 Stangen Pall Mall und einer Flasche Scotch ziehe ich ab, man weiß ja nie.

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5. Kapitel

Es ist Mittag, es gibt eine Vorsuppe, Rinderbraten, Rosenkohl, als Nachtisch Schokoladenpudding mit Vanillesoße, nicht schlecht für den Anfang. Der Bootsmann stellt mich den anderen Seeleuten vor, sie sehen mich an, aber keiner sagt ein Wort. Es ist ein komisches Volk, Riesenkerle, mit Händen wie Tellerminen, später erfahre ich, dass fast alle aus der Küstenfischerei kommen, also alles Schwerstarbeiter, und so sehen sie auch aus. Ich weiß sofort, das wird nichts an Bord, hier mache ich nur eine Reise mit, hier gefällt es mir nicht.

Ich werde für die Vier-Acht Wache eingeteilt, da habe ich ja etwas Glück, von 4-8 hat man Dienst auf der Brücke, also zweimal am Tag. Die Zeit von 8.00 am Morgen bis zum Nachmittag kann ich zutörnen; wenn ich an Deck arbeite, sind das alles Überstunden, mehr kann man nicht verdienen. In der Regel arbeitet man bis um 15.00 Nachmittags und bereitet sich dann für die Brückenwache von 16.00-20.00 Uhr vor. Dann muss man wieder morgens von 4.00-8.00 Uhr auf der Brücke erscheinen, danach wieder bis 15.00 Uhr zutörnen. So läuft das an Bord. Wir sollen um 14.00 auslaufen, der Bootsmann teilt mich für Achtern ein. Wenn man keine Wache hat, wird man für eine Gruppe eingeteilt, die den Dampfer festmachen im Hafen, also Vorn und Achtern. Beim Verlassen des Hafens ist es genau so.

Pünktlich um 14.00 Uhr verlassen wir den Hafen von Rotterdam, von meinen neuen Kollegen hat noch niemand ein Wort mit mir gesprochen. Ich führe die Befehle des 2. Offiziers, der für Achtern zuständig ist, aus und fertig, es ist ja auf jedem Schiff das gleiche. Leinen einholen und aufschießen und fertig. Um 15.00 gibt es Kaffee, heute ist Donnerstag, also Seemannssonntag, da gibt es Kuchen. Donnerstag ist Seemannsonntag, ist man dann auf See, gibt es einen Urlaubstag extra, am Morgen frische Brötchen, vom Kochsmaat, der meistens Bäcker gelernt hat, frisch gebacken und Kuchen am Nachmittag. Früher gab es nur am Donnerstag und am Sonntag frische Brötchen. Heute, mit den Tiefkühlbrötchen, jeden Tag. Aber hier gibt es nicht nur Kuchen, sondern auf jeder Back, das ist der Tisch in der Messe, steht ein Stapel mit Pfannenkuchen und ein großes Glas mit Sirup, ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus, aber Ostfriesen sind nun mal Liebhaber von Pfannkuchen und Sirup.

Ich schaue sehr skeptisch dem Treiben hier zu. Nach dem Kaffee gehe ich duschen und mache mich für den Dienst auf der Brücke fertig, um 16.00 beginnt meine erste Wache auf der Baldur.

Ja, es ist kurz vor 16.00 Uhr, mein Dienst auf der Brücke beginnt, noch machen wir Revierfahrt, der Lotse ist noch an Bord. Ich steige also zur Brücke auf, öffne die große Schiebetür und melde mich beim 1. Offizier, er hat mit mir die 4-8 Wache. Er weist mich an, den Rudergänger abzulösen, der Rudergänger, auch ein Leichtmatrose, gibt mir den Kurs an, und nun stehe ich am Ruder. Die Kommandos kommen vom Lotsen, der gibt sie auf englisch an den 1. 0ffizier und der gibt sie mir in Deutsch weiter. Der Lotse ist immer nur ein Berater an Bord, der aber das Fahrwasser genau kennt. Dass ich Befehle nur vom diensthabenden Offizier entgegennehme, hat mit dem Seerecht zu tun.

Wir haben ungefähr noch 2 Stunden Revierfahrt, bis die Nordsee erreicht ist, dann geht der Lotse von Bord und von nun an bestimmen die Seekarten den Kurs, erst geht es durch den Ärmelkanal, dann in die Biskaya und dann über den Atlantik nach Brasilien. Erst wenn wir denn Atlantik erreicht haben, wird niemand mehr am Ruder stehen, dann wird die Automatic eingeschaltet, das Schiff fährt dann auf dem eingegebenen Kurs weiter. Ich werde dann nur auf der Brücke stehen, um auf Schiffe zu achten, die unseren Weg kreuzen.

Immer ein Offizier und ein Matrose gehen Wache. Von 8-12 Uhr, von 12-16.00 Uhr, von 16-20.00 Uhr, immer so weiter. Man hat also 2x Dienst auf der Brücke, für mich ist das die schönste Zeit, der Sonnenaufgang am Morgen und der Sonnenuntergang am Abend, dann die Ruhe an Bord, einfach schön. Aber jetzt ist es hektisch, alle 2-3 Minuten kommt ein Kommando, "Ein Strich Steuerbord" das muss ich dann laut wiederholen. Hinter mir im Kartenzimmer spuken der Kapitän und der 2. Offizier herum, der 2. Offizier ist für die gesamte Reise für die Seekarten zuständig, er hat sie immer für den nächsten Tag bereit zu legen und notfalls zu aktualisieren.

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