Prioritätensetzung bei allen Verkehrsträgern ist sinnvoll – weiterer Infrastrukturausbau muss aber möglich bleiben!


Mit einem weiteren Bericht zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hat das Bundesverkehrsministerium am 22. Juni 2012 den Bundestagsausschüssen für Haushalt und Verkehr zugleich sein überarbeitetes Konzept zum zukünftigen Erhalt und Ausbau der Bundeswasserstraßen vorgestellt. Danach erfolgt zukünftig eine Kategorisierung der Wasserstraßen nach ihrer Transportfunktion „als zusätzliches strategisches Element“ zum effektiven Einsatz der knappen Finanzmittel und des zur Verfügung stehenden Personals. Das Fazit der seit Januar 2011 laufenden Infrastrukturdebatte lautet: Nur Wasserstraßen mit einer hohen Transportfunktion werden weiter ausgebaut; im Übrigen steht der Substanzerhalt im Vordergrund. Die vorgenommene Netzkategorisierung soll im 5-Jahres-Turnus überprüft und ggf. angepasst werden.

Zu den weiter auszubauenden Wasserstraßen zählen in der sog. „Kategorie A“ unter anderem der Rhein, weite Teile des westdeutschen Kanalsystems, die Mosel, der Main, der Main-Donau-Kanal, der Elbe-Seitenkanal und der Mittellandkanal bis Magdeburg. Der Substanzerhalt in Kombination mit sog. Optimierungsmaßnahmen (Tiefenbaggerungen, Uferabtragungen etc.) steht unter anderem bei der Weser, dem Neckar, dem Elbe-Havel-Kanal und der Nordstrecke des Dortmund-Ems-Kanals im Vordergrund. Hier werden allerdings bei Ersatzinvestitionen zudem „die Ausbauparameter der Kategorie A berücksichtigt“, teilt das Ministerium mit. Verlierer der neuen Netzkategorisierung sind unter anderem der Elbe-Lübeck-Kanal, der Küstenkanal, die sog. Stichkanäle und weite Teile des Wasserstraßennetzes östlich von Magdeburg: Hier wird zukünftig grundsätzlich nur der Bestand erhalten. Eine Kategorisierung der Donau sowie der Elbe und des zu bauenden Saale-Seitenkanals wurde wegen laufender Gutachten und Bildung von Gesamtkonzepten nicht vorgenommen.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt e.V. (BDB) begrüßt dem Grunde nach die Absicht des Bundesverkehrsministeriums, mit einer Prioritätensetzung die bereits heute nicht ausreichenden Finanzmittel des Bundes in die Wasserstraßen mit dem größten Finanzbedarf zu lenken, nachdem sich der jährliche Fehlbetrag inzwischen auf über eine halbe Milliarde Euro summiert. Er warnt jedoch davor, die chronische, jahrzehntelange Unterfinanzierung im Bereich der Wasserstraßeninfrastruktur nun als dauerhaften Fakt zu akzeptieren: „Der Erhalt und der weiter notwendige Ausbau der Flüsse und Kanäle – auch im Osten der Republik – ist eine Kernaufgabe der Bundesregierung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu wahren und zukunftsfähig zu gestalten. Hierfür sind die erforderlichen Haushaltsmittel zwingend zur Verfügung zu stellen. Es darf nicht sein, dass notwendiger und volkswirtschaftlich sinnvoller Infrastrukturausbau wegen unzureichender Mittel unterbleibt. Das wäre eine ‚Kapitulation vor den leeren Kassen‘ des Bundes“, erklärt BDB-Präsident Georg Hötte.

Von welcher Güterprognose das Bundesverkehrsministerium bei der nun vorgenommenen Einteilung der Wasserstraßen im Detail ausgegangen ist, bleibt leider auch im mittlerweile 5. WSV-Reformbericht unklar. Den für den Gesamtüberblick und die sachliche Debatte dringend erforderlichen Bericht über den baulichen Zustand der Flüsse und Kanäle (Netzzustandsbericht) hat das Bundesverkehrsministerium ebenfalls bisher nicht vorgelegt. Ein großes Manko ist zudem die fehlende Kategorisierung der Donau: „Zurzeit finden an der Donau zwischen Straubing und Vilshofen nur noch Untersuchungen über das „Wie“, nicht über das „Ob“ des weiteren Donauausbaus statt. Da der Ausbau an sich also nicht in Frage steht, wäre eine Kategorisierung in der sog. Ausbaukategorie „A“ logisch und zwingend gewesen“, kritisiert BDB-Präsident Georg Hötte.

Georg Hötte sieht zudem die Gefahr, dass die nicht zum weiteren Ausbau vorgesehenen Wasserstraßen schleichend an Bedeutung verlieren und Güterverkehre zukünftig dann allein auf Straße und Schiene stattfinden: „Es ist Aufgabe der Politik und der am System Wasserstraße Beteiligten, zukünftig darauf zu achten, dass mit der heute vorgenommenen ersten Einteilung nicht ganze Wirtschaftsräume der Zukunft von der Wasserstraße abgeschnitten werden. Die weitere Entwicklung muss möglich bleiben!“

Im Hinblick auf die fehlende Finanzierbarkeit weiterer Ausbaumaßnahmen fordert der BDB von der Politik zudem eine strikte Gleichbehandlung der Verkehrsträger: „Wenn bei den Wasserstraßen neben der Nutzen-Kosten-Analyse nun die prognostizierten Gütermengen als weiteres Kriterium für die Beurteilung des Infrastrukturausbaus heran gezogen werden, muss dies bei Straße und Schiene ebenfalls erfolgen. Wenn Einsparungen vorgenommen werden müssen, so hat dies diskriminierungsfrei nach den gleichen Kriterien bei allen Verkehrsträgern zu erfolgen“, lautet die Forderung von BDB-Präsident Georg Hötte an die Exekutive und Legislative im Bund.

Die mit der neuen Netzkategorisierung einhergehende Strukturreform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, insbesondere die Schaffung eines Zentralamtes und das Umfunktionieren der heutigen Direktionen in entsprechende Außenstellen, verfolgt der BDB mit großem Interesse. Eine abschließende Bewertung nimmt der Branchenverband jedoch nicht vor. „Es ist nicht die Aufgabe des BDB, über Strukturreformen innerhalb der Verwaltung zu urteilen. Das Konzept der Neugliederung erscheint aber im Hinblick auf eine Bündelung der Kräfte und weitere Synergieeffekte, etwa bei der zukünftigen Vergabe von Aufträgen, nicht per se unschlüssig. Uns ist wichtig, dass die heute hoch kompetente Verwaltung auch zukünftig handlungsfähig bleibt und der heute hohe Standard in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gewahrt bleibt. Ob dies mit der vorgesehenen Strukturreform der Fall sein wird, muss näher analysiert werden“, erklärt BDB-Präsident Georg Hötte.