Unser besonderes Verhältnis zu Neuburg am Rhein von Gottfried Streuli

Zwischen Basel und Neuburg bestehen Unterschiede: Während Neuburg ein echtes, überschaubares Dorf bleibt, ist Basel im Verhältnis dazu eine richtige Grossstadt. Doch das ist eigentlich der einzige Gegensatz, es überwiegen die Gemeinsamkeiten. Beide Orte liegen am selben Fluss, dem Rhein. Bleiben wir vorerst gleich noch etwas bei der Geografie. Bevor die Neuburger unser Basler Wasser erhalten, entspringt es erstmals dem Thomasee, fliesst dann als reines Quellwasser in den Bodensee. Das hat die Germanen während zwölf Jahren im „Tausendjährigen Reich“ veranlasst den Schulkindern beizubringen, dass der Rhein dem Schwäbischen Meer entspringe. Aber lassen wir diese leidige Vergangenheit... Bevor unser Bach nach Neuburg kommt, fliesst er teils an deutschen, teils an schweizerischen Ufern entlang, und oft gehört er ganz zur Schweiz. Während dieser Reise erhält er leider die Segnungen der Zivilisation, das heisst ihre Abwässer, und ist nicht mehr so quellfrisch. In Basel verlässt der Rhein die Schweiz endgültig, hat links französische und rechts deutsche Ufer. Nach 183 km hat der Strom Neuburg erreicht und wird endgültig zum rein deutschen Fluss. Das ergibt wieder Gemeinsamkeiten: In Basel verlässt uns der Rhein, wir schenken ihn Neuburg. Und erst ab hier dürfen die Rheinländer ihr Lieblingslied singen, mit feuchten Augen und inbrünstig: „O, du wunderschöner, deutscher Rhein...“. Wir Basler sind da absolut nicht neidisch, sollen sie doch singen!

Auf die Frage, wie und wann die Beziehung des Schiffervereins zu Neuburg entstanden ist, müssen wir in unseren Erinnerungen einige Jahrzehnte zurückblättern. Der Oberrhein ist noch nicht in ein betoniertes Korsett gezwängt worden. Auch Buhnenfelder können nicht verhindern, dass sich das Fahrwasser für die Schifffahrt ständig ändert. Deshalb war es üblich, dass aus Sicherheitsgründen ortskundige Streckenlotsen auf den Schiffen mitfuhren. Einzelfahrer und Schleppboote nahmen in der Regel einen Lotsen schon in Mannheim an Bord, wechselten diesen dann in Strassburg/Kehl mit einem Baslerfahrt-Lotsen. Noch einige Jahre nach dem Krieg war die grosse Zeit der starken Schlepper - „Uri“ und „Unterwalden“ zogen acht Rheinkähne zu Berg. Wegen der zunehmenden Strömung wurde die Hälfte des Schleppzuges in Sondernheim liegengelassen und mit dem ersten Zug ging es einmal weiter bis Strassburg. Und üblich war es, dass auf die Kähne ein Lotse in Neuburg an Bord ging. Als eigenes Transportmittel hatte jeder Lotse seinen Nachen dabei; er ruderte nach getaner Arbeit nach Neuburg zurück oder liess den Nachen von einem Talfahrer ziehen. Diese Lotsen waren immer mehrere Stunden an Bord, übernachteten meistens einmal auf dem Schiff. Weil viele Schweizer ihre Berufskarriere auf den Kähnen begannen, entstanden so die ersten Kontakte zu den Neuburgern.

Weil die Schleppkähne meistens auf Strom vor Anker lagen, keinen direkten Kontakt zum Land hatten und zudem die Liegeplätze und Umschlagshäfen oft weit entfernt von den Einkaufsmöglichkeiten waren, blieb das Beschaffen von Lebensmitteln oft mit grosser Mühe verbunden. Das wurde erleichtert durch schwimmende Läden, die bei Bedarf zu den Schiffen fuhren. Diese Proviantboote waren durchwegs mit einem guten Sortiment versehen und beliebt bei dem Schiffspersonal. Die Schiffsläden gab es in Holland und in Deutschland fast in jedem Dorf oder Liegeplatz. Sogar Basel hatte jahrelang ein Proviantboot, betrieben durch unser Vereinsmitglied M.L.. Und – logisch – auch in Neuburg fuhr ein Proviantboot an die zu Berg fahrenden Schiffe. Diese nahmen die letzte Einkaufsmöglichkeit in Deutschland gerne wahr, denn gleich kam ja der Grenzübertritt. Der Eigentümer S.B., der das Boot selber fuhr, hatte eine bemerkenswerte Eigenart. Alles musste hier sehr schnell geschehen, weil die Zollabfertigung nahte und alle Schiffe eines Schleppzuges bedient werden wollten. Weil eine Registrierkasse fehlte, schrieb B. die Beträge der Einkäufe mit Kreide auf eine Schiefertafel, zählte die Zahlen schnell zusammen und nannte dem Käufer die Endsumme. Doch ebenso schnell wischte er seine Tafel mit einem Lappen wieder sauber, auf dass der nächste Einkauf getätigt werden konnte. Honni soit qui mal y pense. (Wahlspruch des englischen Hosenbandordens: „Verachtet sei, wer Arges dabei denkt!“)

Zu diesen Zeiten war ein Grenzübertritt so immens wichtig, dass die Zoll- und Grenzschutzbeamten ihre wichtige Arbeit in der Dunkelheit nicht durchführen konnten. Ein Weiterfahren ab Neuburgweier/Neuburg war also bei Nacht nicht möglich. Das hiess doch, dass das Schiff wegen „Höherer Gewalt“ in Neuburg liegen bleiben musste – zur Freude des Schiffspersonals. Die Spannung im Steuerhaus war jeweils gross, wenn die Ankerlichter bereits stilllegender Schiffe in Sicht kamen. Die Liegeplätze beim Brugloch Neuburg waren rar und man wäre ja so gerne an Land gegangen! Ein netter Abend kann ja bevorstehen und der erste Gang wird dann gewiss in das nahe liegende Restaurationsschiff führen. Der Proviantbootsmann B. wirtet da in seiner „Lautermuschel“. Manche frohe Stunde verbrachten hier bei Speis und Trank die schweizerischen Schiffsbesatzungen. Gar oft fanden auch weibliche Gäste den Weg in dieses Lokal. So entstand manche Freundschaft zwischen Neuburgern und Baslern. Und ein Flirt mit den jungen Damen konnte sich gut weiter entwickeln. Denn unsere Matrosen hatten ja einiges zu bieten: Neben ihrer Jugend besassen sie eine schicke Uniform, waren wohl versehen mit der wichtigen Nachkriegwährung Kaffee, Zigaretten, Schokolade und Nylonstrümpfen. Die Folgen dieser Neuburger Aufenthalte waren nicht zu übersehen. Einige Schweizer haben gleich die hübschesten Neuburger Mädchen geheiratet. Sie sind zum Teil auch in Neuburg geblieben, haben da Familien gegründet, Häuser gebaut, und wurden als neue Bürger akzeptiert. Andere haben ihre Neuburger Liebsten dazu überredet, mit aufs Schiff zu ziehen und wurden so integriert in das Schiffervolk.

Wie wir dann vor einem Vierteljahrhundert unseren Schifferverein gründen wollten, haben wir mit unseren Neuburger Freunden viele Gespräche über dieses Thema geführt. Wir studierten ihre Vereinsstatuten, übernahmen davon, was uns gut schien. Und ihr stolzer und schmucker Schiffermast gefiel uns besonders. Da ist es nahe liegend, dass wir die Abmessungen ungefähr übernahmen. Als Reverenz an Neuburg blieb dann unser Mast im Basler Hafen ein Meter kürzer. Die Neuburger konnten deshalb wohl das Kopieren eher verschmerzen!

Wenn heute der Schifferverein Basel-Kleinhüningen irgendein schiffisches Fest baut, dann kann man sicher damit rechnen, dass aus Neuburg eine grössere Delegation daran teilnimmt. Da ist das Jubiläumsfest 2001 in guter Erinnerung, als die Neuburger gleich mit einem vollen Car anrückten. Und wir Basler halten da gerne Gegenrecht. Es bildete sich eine feine Tradition, wenigstens einmal jährlich nach Neuburg zu fahren. Der spezielle Anlass dazu ist eigentlich eher nebensächlich. Wir freuen uns einfach, wieder ein paar schöne Stunden mit unseren Neuburger Freunden verbringen zu dürfen - bis zum nächsten Mal!

G. Streuli
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Göpf hat diese Geschichte vor einigen Jahren für den Schifferverein Basel-Kleinhüningen geschrieben und sie auch dem Verein Historische Binnenschifffahrt zur Veröffentlichung auf dessen Homepage zur Verfügung gestellt. Es ist sicher in Göpf's Sinn, wenn diese Geschichte postum auch ins Forum gestellt wird.