Das erste Schiff mit einem Dieselmotor war im Jahr 1903 eine französische Penische!

Der Spits hieß PETIT PIERRE und gehörte der Stahlhütte HACHETTE et DRIOUT in Saint-Dizier. Vermutlich wurde das Schiff auch auf der Werft dieses Unternehmens in St. Dizier gebaut – denn es war natürlich kein hölzernes Schiff, das man mit einem Motor ausstattete. Das Schiff war unter dem Namen Henry Roussel in St. Dizier eingeschrieben – wie das mit der Stahlhütte als Eigentümer zusammenhängt, ist wohl nicht im einzelnen bekannt.

Diesel sprach perfekt französisch. Er war in Paris aufgewachsen und zwölf Jahre alt, als Bismarck 1870 den deutsch-französischen Krieg anzettelte. So wie alle Deutschen wurde auch die Familie Diesel aus Frankreich ausgewiesen, aber zehn Jahre später war Rudolf Diesel wieder zurück in Paris, wo er 1881 als gerade einmal Dreiundzwanzigjähriger Direktor der Eisfabrik von Carl Linde wurde. Diesel beschäftigte sich mit Wärmeumwandlung – ein Feld, zu dem Eismaschinen ebenso gehörten wie Wärmekraftmaschinen.

1882 besuchte Diesel in Paris Gustave Eiffel und lernte dabei dessen Ingenieur Frédéric Dyckhoff kennen, der mit Diesel gleichaltrig war. 1890 ging Diesel nach Berlin, wo Carl Linde ihm eine Stelle angeboten hatte und auch der französische Ingenieur Frédéric Dyckhoff wechselte ein Jahr später seinen Arbeitsplatz, um im heimatlichen Bar-le-Duc am Rhein-Marne-Kanal die mechanische Werkstatt seines Vaters zu übernehmen.

Rudolf Diesel, dessen Werdegang stets von Bestnoten begleitet gewesen war, hatte einen Hang zum „großen Wurf“. Er setzte sich große Ziele, für die er dann Geldgeber zu begeistern suchte. 1892 meldete er in Berlin ein Patent auf eine Verbrennungskraftmaschine an, das er erst 1893, als Diesel einen Prototypen tatsächlich zum Laufen brachte, rückwirkend erhielt und das fünfzehn Jahre Gültigkeit hatte, also bis 1907. In dieser Zeit mußte Diesel einen Motor tatsächlich bauen oder das Patent verfiel. Auch in Frankreich hatte Diesel 1892 ein Patent beantragt.

Es hat den Anschein, daß Frédéric Dyckhoff ab 1893, als Diesel sein Patent in Deutschland erhalten hatte, Diesel den Bau einer Motorenfabrik in Bar-le-Duc vorschlug. 1894 machte Rudolf Diesel auf dem Weg nach Paris in Bar-le-Duc Station. In einem heute nicht mehr existierenden Café in der Rue Rousseau traf Diesel mit Dyckhoff zusammen, der einen Rechtsberater bei sich hatte: Raymond Poincaré, der später französischer Ministerpräsident und Staatspräsident wurde. Diesel und Dyckhoff machten sich gemeinsam auf die Suche nach einem geeigneten Gelände für die Motorenfabrik und schlossen 1894 einen Lizenzvertrag ab, der Dyckhoff zum ersten Lizenznehmer Rudolf Diesels machte. Es war der Beginn einer engen Beziehung zwischen beiden: ein Sohn von Dyckhoff bekam später den Namen Rudolphe.

Ab Ende Juni 1894 wurden von Dyckhoff gebaute Motorteile nach dem französischen Patent Rechtshelfern präsentiert. Am 27 Juli 1894 wurde ein nach den Plänen von Diesel in der Werkstatt von Dyckhoff gebauter kompletter Motor fertig, der wiederum Rechtshelfern präsentiert und einem Ingenieur vorgeführt wurde. Von diesem Motor existieren Fotografien. Der amerikanische Autor Lyle Cummins (man könnte auf die Idee kommen, daß dessen Familie vielleicht etwas mit dem gleichnamigen Dieselmotor zu tun haben könnte!??), der 1992 eine Enkelin von Dyckhoff in Bar-le-Duc besuchte, schreibt: „Dyckhoff built an engine in 1894 which reportedly ran better than the one in Augsburg.“ Dyckhoff war damit drei Jahre eher fertig als Diesel, der in Augsburg mit seinem Motor Probleme hatte und ihn dort erst Anfang 1997 zuverlässig zum Laufen brachte.

Das lag zum einen an der Erfahrung, die Dyckhoff bei der Fabrikation von Dampfmaschinen angesammelt hatte. Zum anderen ist es häufig der Fall, daß Lizenznehmer, die fremde Patente verwerten, pragmatischer, freier und oft erfolgreicher entwickeln als die Patentinhaber selbst, die (so wie Diesel) gegenüber dem Patentamt und den Lizenznehmern unter Erfolgsdruck stehen.

Das bedeutet, daß der erste Motor, der nach Diesels Plänen entstand, 1894 in der Werkstatt von Dyckhoff in Bar-le-Duc fertig wurde, nur zwei Jahre nach der Erteilung der Patente in Deutschland und in Frankreich. Diesel hatte diesen Motor ursprünglich von Bar-le-Duc nach Augsburg bringen lassen wollen, doch wurde dieses Vorhaben aus unbekannten Gründen nicht ausgeführt. In dem 1993 erschienenen Buch von Cummins ist ein Foto dieses ersten Dieselmotors von 1894 zu sehen. Auch ein Foto eines Holzmodells des Motors ist dort abgebildet, auf dem die zweite Enkelin von Dyckhoff posiert, die damals etwa achtjährige Antoinette Dyckhoff.

Angesichts der Schwierigkeiten mit dem zweiten Prototypen des Motors in Augsburg notierte Rudolf Diesel am 18. September 1894 (ich muß hier die französische Wiedergabe des Zitats im Link - siehe Teil 3 - zurückübersetzen): „Nur Mut – nur noch ein kleines Stückchen und es ist geschafft und ich hoffe, alles wird gut. Alles eilt: Augsburg, Dyckhoff, Essen (gemeint ist Krupp), Sulzer.“

Stattdessen war Frédéric Dyckhoff erneut schneller und ließ am 22. Juli 1896 gerichtlich die Fertigstellung eines zweiten, als „Nr. 2“ bezeichneten Motors feststellen. Auch dieser Motor ist, so wie auch der erste, nur fotografisch überliefert, während sein Verbleib unbekannt ist. Der zweite Motor von Dyckhoff war bereits in der neuen Motorenfabrik entstanden, die 1893/1894 ins Auge genommen und trotz aller Schwierigkeiten, die in Augsburg noch bestanden, aufgebaut worden war. Sie muß also 1896 fertig geworden sein (das Gelände wurde im August 1895 angemietet) und befand sich in Longeville-en Barrois, etwa fünf Kilometer östlich von Bar-le-Duc ebenfalls am Rhein-Marne-Kanal.

1897 war endlich Diesel in Augsburg soweit: der Prototyp, der 1893 unter Versuchsbedingungen gelaufen war, war zu einem serienreifen Motor weiterentwickelt worden und funktionierte einwandfrei. Denn wirklich serienreif war der Dyckhoff-Motor noch nicht. Dyckhoff bekam als erster der Lizenznehmer Diesels in Augsburg den neuen und letzten Prototypen vorgeführt – heute steht der Motor im Deutschen Museum in München. Ende April/Anfang Mai 1897 weilte Dyckhoff erneut in Augsburg. Man machte Testreihen des Motors, deren Ergebnisse für die Zeichner der zu gründenen Société francaise des moteurs Diesel à combustion interne auf französisch festgehalten wurden. Mitte 1897 kam die Gesellschaft zustande, mit Sitz in Bar-le-Duc und dem Produktionsort in Longeville.

(= Teil 1 von 3)