Zum Aschaffenburger Kettenschleppschiff fand ich kürzlich ein schönes Kapitel in einem 1963 erschienenem Buch names 'Menschen und Städte an Neckar und Main' des Briten Roger Pilkington, der 1961 (oder 1960? So klar drückt sich das Buch da nicht aus) den Main mit seinem Boot 'Commodore' befuhr. Ich hab's mal rauskopiert:
Die Kunstgüter der Stiftskirche und anderer Baulichkeiten sind wohlbekannt, der Besucher wird sie in einem Stadtführer aufgezählt finden. Selbst wenn er ihn sehen sollte, wird ihm jedoch kaum klar werden, daß noch ein Gegenstand in Aschaffenburg ein Schatz, wenn auch ganz anderer Art, ist. In gewisser Weise war es schieres Glück, daß wir ihn entdeckten. Wäre uns nicht ein kleines Hafenbecken dicht unterhalb der terrassierten Felswand, auf der der Bischofspalast steht, aufgefallen, so hätten wir es vermißt, die Bekanntschaft eines K.B.K.S. zu machen.
Das kleine Hafenbecken war uns als idealer Liegeplatz erschienen, solange wir die Stiftskirche besuchten und notwendige Vorräte einkauften. Er war vor dem Schwall der vorüberfahrenden Kähne geschützt. Wir loteten den „Commodore“ vorsichtig durch die Einfahrt und stellten fest, daß er reichlich Wasser unter dem Kiel hatte. Eine Sammlung verschiedener Beiboote, Fischerkähne und Kanus lag im Hafen. Außer einigen Fahrzeugen mit Außenbordmotoren war nur noch ein größeres dort. Das war allerdings so riesig, daß es auf seinem unteren Deck eine Gaststätte und ein Geschäft mit Zubehör für Kanus aufwies. Der Eigentümer war ein gutmütig kräftiger Bayer, ein früherer Flußkapitän. Sobald er den „Commodore“ sich langsam in den Hafen bewegen sah, kam er hervor, um uns zu begrüßen, und winkte uns, längsseits zu kommen. Als wir uns der merkwürdig schwärzlichen Bordwand näherten überlegten wir anfänglich, warum der Schiffskörper sich fast wie eine Fähre an beiden Enden dem Wasser näherte. An sich war das Fahrzeug viel zu groß, um auf dem Rhein oder Main als Wagenfähre gedient zu haben. Unterhalb des Decks, auf dem sich jetzt die Gaststätte befand, wies es eine lange Reihe Bullaugen auf. Das Gesamtbild war jedenfalls höchst ungewöhnlich, und es dauerte einige Zeit, ehe wir begriffen, daß dies Schiff kein gewöhnliches Fracht- oder Passagierschiff sondern etwas ganz anderes gewesen war. Die Oberdecks und der Schornstein und die Maschinenanlage waren verschwunden. Wir waren uns jetzt aber sicher, daß es sich tatsächlich um eines der bemerkenswertesten königlichen Schiffe handelte. Wir eilten an Bord, um mit dem Besitzer zu reden.
War es, konnte es wirklich ein K.B.K.S. sein? Stolz antwortete er uns, es sei in der Tat ein solches Schiff. Wenn wir die Gaststätte beträten, so könnten wir an der Wand eine schöne Photographie hängen sehen, die das Fahrzeug in all seiner ursprünglichen Pracht zeigte. Sie war vor vierzig Jahren von einem Schiffsführer aufgenommen worden. Man sah das Schiff sich als Königlich Bay[e]risches ['bayrisch ist im ganzen Bericht falsch geschrieben - ich habe es durchweg korrigiert] Kettenschiff II den Main heraufarbeiten, eines der acht Königlich Bayerischen Kettenschiffe, die vor der Kanalisierung des Maines oberhalb Aschaffenburg alle Kähne bis Bamberg hochgeschleppt hatten. Es konnte vielleicht dasselbe Schiff gewesen sein, das Donald Maxwell geschleppt hatte. „Ein scheußliches Ungetüm von Schlepper“, so hatte er es bezeichnet, „das dauernde ‚Klirren der Kette auf ihrem Wege über das eiserne Oberdeck war unerträglich.“ Vielleicht war es auch das Schiff, an das sich Farson [schau an, wie viele Autoren sich an die Mainkettenschlepper erinnern, ich glaube ich habe im Forum auch schon Zitate von Mark Twain und Egon-Erwin Kisch erwähnt], der wandernde Reporter der Chicago Daily News, anhing, der von ihm fand, es sei „der Albtraum eines Schiffsbauers. Die Decks waren naß und verrostet. Ein fürchterliches Knirschen ertönte aus dem Bauche des Schiffes, als es den Anfang seiner 300 km langen Eisenkette zu verdauen begann.“ Wenn das Schiff auch schmutzig und laut genug gewesen sein mag, die Photographie in dem schwimmenden Restaurant zeigte das K.B.K.S. auf der Fahrt als ein elegantes und majestätisches, direkt kaiserliches und hoffärtig-stolzes [der Begriff ist so altmodisch, den musste ich erst mal nachschlagen/'nachgooglen'] Fahrzeug. So sehr wir es wieder einmal bereuten, daß diese so eigenartige Schiffsart nicht mehr unterwegs war, so sehr freuten wir uns, endlich einen verhältnismäßig gut erhaltenen Schiffskörper dieses Typs gesehen zu haben.
Das K.B.K.S. II [tatsächlich war gegen Ende auf seinen beiden 'Fake' Schornsteinen der Name KBKS No. 7 aufgemalt] ist nicht das einzig überlebende Denkmal aus der Zeit der Kettenschiffe. Wir sollten selbst noch den Rumpf des K.B.K.S. IV [auch dieses Schiff wird in einem späteren Kapitel noch mal näher erwähnt] im Handelshafen von Würzburg entdecken, der dort ein Geschäft für Schiffsausrüstungen beherbergte. Modelle anderer gab es im Rathaus zu Wörth und im Schloß Marienburg zu besichtigen. Im Gegensatz zum „Neckaresel“ besaßen die Bayerischen Kettenschiffe nur einen Schornstein: außerdem waren sie bereits ein halbes Jahrhundert vor dem Zeitalter der „Jets“ mit einer Düsenturbine als Antriebskraft für die Talfahrt ausgerüstet. Diese Vorrichtung war in einem Fluß höchst nützlich, dessen Wasserstand nur 60 cm betragen konnte, und der viel zu flach war, um einen Schraubenpropeller ohne das Risiko seiner Beschädigung zu verwenden. Diese klugerdachte Anlage vereinfachte den Schleppzug gegenüber dem auf dem Neckar: es erübrigte sich nun, ein Fahrzeug auf der Bergfahrt zu vertäuen und abzuhängen, wenn es einem auf der Talfahrt befindlichen Schwesterschiff begegnete.
Ursprünglich wurden sechs derartige Schiffe in Auftrag gegeben, zu denen später zwei weitere dazukamen. Sie wurden nicht am Main, sondern weit entfernt davon in Dresden erbaut, wo die Platten gelocht und der ganze Schiffskörper zusammengenietet wurde. Das fertige Schiff wurde wieder zerlegt und die numerierten Platten auf dem Schienenwege nach Aschaffenburg gebracht, wo sie auf einer behelfsmäßigen Helling, dicht unterhalb des Schlosses und nahe dem heutigen Liegeplatz des K.B.K.S. II abermals zusammengefügt und vernietet wurden. Sofern der Wasserstand hoch genug war, befuhren sie die Kettenstrecke von Aschaffenburg bis Bamberg, während die Strecke von Aschaffenburg bis Mainz bis zur Kanalisierung des Unterlaufes von den hessischen Kettenschiffen befahren wurde: Das waren Fahrzeuge mit zwei Schornsteinen, die wie ihre Schwesterschiffe auf dem Neckar die Kette in beiden Richtungen benutzten.
In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts begann man den Gesamtausbau der 400 km langen Mainstrecke als Teil einer künftigen Rhein-Main-Donau-Verbindung. Das bedeutete das Ende für die Kettenschiffe. Die hessischen waren bereits lange vom Fluß verschwunden, die stolze Bayerische Flotte hielt sich aber noch. Genauso, wie die Kette Jahr um Jahr ein Stück gewachsen war, erst nach Würzburg und dann nach Kitzingen und Schweinfurt und Bamberg, genau so sollte sie nun auch vom unteren Ende her im Zuge des Schleusenausbaus verschwinden. Dennoch geschah dies nicht plötzlich. Nach Fertigstellung der Schleusen blieb die Kette noch eine Weile liegen und führte durch eine Rille am Boden der Schleusenkammer. In den Schleusentoren, die sich in der Mitte trafen, war unten ein kleines Loch, in das die Kette paßte. Das Loch war gerade groß genug für die Kettenglieder, aber zu klein, um einen größeren Verlust an Wasser zu verursachen [schau an, das habe ich bisher zum ersten mal gehört]. Der Haken dabei war natürlich, daß die über das Heck abgeworfene Kette nicht genau in ihre Rille fiel und sich die Schleusentore beim Schließen obenauf klemmten und nicht richtig schlossen. Dann mußten Wurfhaken in die Schleusenkammer geworfen werden, um die Kettenglieder aufzufischen und sie genau in die Rille hinabzulassen. Ein derartiges System konnte sich nicht lange halten. Nach Erbauung der Schleusen und Wehre war es veraltet. Bald darauf wurde die Kette aufgehoben, die schmucke Flotte aufgelöst und ihre erfahrenen Schiffer ausbezahlt. Heute existiert von den Königlich Bayerischen Kettenschiffen nichts weiter als die beiden, traurig veränderten Hulks an ihren Dauerliegeplätzen, die als Restaurant und als Vorratsraum für Öle und Farben dienen. Die Erinnerung an sie blieb entlang des Flusses jedoch in manch gemütlicher Gaststube eines Gasthofes „Zur Kette“ oder „Zum Kettenschiff“ erhalten, wo die Kapitäne und Lotsen der starken rheinischen Motorschiffe spätabends bei einem Glase klaren Weines von den Rebhügeln des Maines sitzen.
Nachtrag; es gibt noch einen Bildbeweis für ein 'zweites' Leben eines weiteren Kettenschleppers, aufgenommen in den späten 30ern in Miltenberg, aber bislang fand ich nix weiter darüber raus. Aber das Forum ist ja geduldig...